Wehnen - Die Vergangenheit galt den Opfern – „sie sind schließlich das Wichtigste“, so Dr. Ingo Harms. In der Zukunft soll vermehrt auch das Tun der Täter wissenschaftlich aufgearbeitet werden. Über die Krankenmorde in der Heil- und Pflegeanstalt Wehnen wurde in den vergangenen zwei Jahrzehnten viel geforscht. Das lange Zeit verleugnete Geschehen sei aber immer noch in der Wissenschaft besser bekannt als in weiten Teil der Öffentlichkeit, so der Oldenburger Medizinhistoriker. Das soll sich weiter ändern. Auch durch die Gedenkstätte Alte Pathologie.
Seit 2004 vom ein Jahr zuvor von Angehörigen der Opfer der NS-„Euthanasie“ in der Heil- und Pflegeanstalt Wehnen gegründeten Gedenkkreises Wehnen betrieben, will die Einrichtung informieren, dass hier in den 1930er und 40er Jahren mehr als 1500 Patienten den Hungertod starben. Harms hat diese systematische Ermordung erforscht, hat seit den 1980er-Jahren Hunderte von Krankenblättern und Behördenakten aufgespürt und ausgewertet. „Die Anfänge waren schwierig“, blickt er auf manch Widerstand zurück. Da habe es auch schon mal einer ministeriellen Anweisung bedurft. „Dann lief es aber schnell wie von selbst.“ Mittlerweile hat Harms zahlreiche Aufsätze und Bücher veröffentlicht, mit teils grundlegenden Erkenntnissen: „Durch die Forschung wurde offenbar, dass die Nazi-Euthanasie bereits 1936 begonnen hat.“
Zu etwas Besonderem machten die Gedenkstätte aber noch zwei andere Aspekte, so Harms: „Es ist eine von Angehörigen initiierte und betriebene Gedenkstätte“. Und auch die enge Verbindung zwischen Wissenschaft und Gedenkkultur sei einmalig, so Harms, dessen Großmutter 1942 in Wehnen ums Leben gekommen ist.
Seien es anfangs vor allem Angehörige von Opfern, Mitarbeiter umliegender Kliniken, Pflegeschüler und Reservisten gewesen, die sich in der „von den Nazis durch Verbrechen beschmutzten Leichenhalle“ informierten, wurden es mit den Jahren zunehmend mehr Schulklassen. Sie erfahren in Wehnen durch Patientenbiografien in roten Büchern von Gräueltaten der Nationalsozialisten. Aber auch, so Harms, dass „Wehnen nicht der einzige Ort des Verbrechens im Oldenburger Land gewesen ist, wenn auch ein zentraler Ort“.
Wo genau die wesentlich von Susanne Schlechter konzipierte, mit Mitteln der Stiftung niedersächsische Gedenkstätten finanzierte und durch vielfältige Unterstützung realisierte Gedenkstätte in zehn Jahren stehen wird, weiß auch Vorsitzende Elke Harms-Kranich nicht. „Das muss man sehen. Nach dem Gedenktag werden wir uns Zeit nehmen uns zu orientieren.“
Ihr Bruder gibt aber schon einmal die Richtung vor: Die Räume seien langsam zu klein, und auch rein ehrenamtlich sei die Arbeit auf Dauer nicht zu leisten. Die Forschung müsse sich zudem auch auf andere Einrichtungen im Oldenburger Land richten, in denen Krankenmorde stattgefunden hätten oder die zugearbeitet hätten.
Eins steht aber fest: Auch in zehn Jahren werden die Opfer im Mittelpunkt stehen.