Bremen - Vorsichtig dreht Walter Ruffler an einer Kurbel, und schon schüttelt es den kleinen Pappmatrosen in seinem Pappboot auf einem Pappmeer ordentlich hin und her. Die Arme des Unglücklichen schlenkern wild. „Der hat nicht auf die Wettervorhersage gehört“, sagt Ruffler. Er ist stolz auf seine mechanische Papierskulptur - der Ausschneide- und Bastelbogen „Stürmische See“ ist einer seiner Klassiker. Ein anderer ist der „Feuer-Drache“: Das wilde Untier aus dünnem Karton schnappt mit dem Maul und schlägt mit roten Flügeln.
Walter Ruffler arbeitet in seiner Werkstatt. Im Vordergrund schüttelt es den Pappmatrosen auf dem Pappmeer. Bild: Sina Schuldt/dpa
Der Bremer, 71 Jahre alt, hat sich auf eine seltene Kunstform verlegt: Ruffler entwirft witzige kleine Maschinen aus Papier, die von jedermann nachgebastelt werden können. Wer seine Werkstatt in einem gesichtslosen Gewerbebau besucht, gerät in einen Traum für Kinder und Junggebliebene: Auf den Regalen drängen sich bunte Papiermodelle und anderes Spielzeug, es gibt viele Bücher über Spielzeug, und auf dem Boden schlängelt sich eine große Eisenbahn.
Vom Papier zum Drachen
„Papier ist ein sehr vielseitiger Werkstoff“, sagt Ruffler. Dabei ist Papier flach, zweidimensional und obendrein biegsam, nicht steif. So ist es ein langer Weg zu einer stabilen dreidimensionalen Figur mit funktionierender Mechanik. 120 Stunden hat der Künstler nach eigenen Angaben an dem Matrosen in Seenot getüftelt. Dann funktionierte das Modell, die Einzelteile passten auf drei A4-Bögen, die Bastelanleitung war fertig.„Das Geheimnis der Stabilität ist der Knick“, sagt Ruffler. Ein Falz verleiht auch dünnem Papier eine feste, tragfähige Kante. Oft knifft er Papier zu dreieckigen Profilen, sie halten besser als Vierecke. „Es ist die alte Gerüstbauerregel: Dreieck steht, Viereck vergeht.“
Der Weg des Künstlers
Ruffler wurde erst mit 55 Jahren freier Künstler - sogar „gerichtlich anerkannter Künstler“, wie er sagt. Denn die für Künstlerinnen und Künstler zuständige Rentenkasse, die Künstlersozialkasse, wollte ihn mit seinen Bastelbögen nicht aufnehmen. Erst ein Gericht entschied: „Es ist die Idee, die zählt.“ Davor hatte Ruffler als Lehrer in der Erwachsenenbildung gearbeitet, Fach Technisches Zeichnen. Und das merkt man, wenn er über die Mechanik seiner Papiermaschinen spricht. Es geht um Kurbelwellen und Nocken, um Gleiträder, Riemen und Zahnräder - alles aus Papier. Das einzige fremde Material sind Zahnstocher oder Schaschlikspieße aus Holz.
Über die Jahre habe er etwa 70 Modelle entworfen, erzählt Ruffler. Dazu zählt auch der „Volksvertreter“. Das sei etwas Biografisches, sagt er, „weil ich vier Jahre der Bremischen Bürgerschaft angehört habe“. Doch der Ausflug als Grünen-Abgeordneter in die Politik währte nicht lange. Rufflers „Volksvertreter“ döst vor sich hin, dann geht der Kopf hoch, er hebt die Hand zur Abstimmung - und döst weiter.
Seltene Kunst
„Die Modelle von Walter Ruffler sind alle so, dass man sie auch als Anfänger selbst bauen kann“, sagt Monno Marten. Er betreibt im Bremer Touristenviertel Schnoor einen Laden für Kartonmodellbau, auch Rufflers Ausschneidebögen sind dort zu haben. „Sie sind mit Absicht in der Form einfach gehalten.“
Es gibt nur wenige Künstler und Tüftler, die Papiermaschinen entwerfen. Martens Vater Fritz König (1941-2020) war einer davon. Von ihm stammt ein niedlicher Bär, dessen Kopf sich einer fliegenden Biene hinterher dreht. „Das hat großen Charme“, sagt Ruffler.
Historisch erlebte Papierspielzeug einen Aufschwung Mitte des 19. Jahrhunderts, als die Farblithographie sich als Druckverfahren durchsetzte. Auch erste mechanische Papierskulpturen stammen aus jener Zeit. Die Blüte dauerte bis zum Ersten Weltkrieg, dann wurden Papiermaschinen erst in den 1970er Jahren in England wiederbelebt. Ruffler zeigt gern ein Prunkstück seiner Sammlung: eine Papierorgel des Briten Benjamin Hurdle von 1990. Fröhlich pfeift sie einen Volkstanz.
Internationaler „Feuer-Drache“
Von Rufflers Modellen sind etwa 40 zum Nachbasteln erhältlich. Händler in der Schweiz und in Schweden führen seine Ausschneidebögen. In Taiwan werden seine Entwürfe als Holzbausätze verkauft, wie Ruffler sagt. Bis auf Afrika habe es von allen Kontinenten Rückmeldungen von Kunden gegeben. Eine Entwicklungshelferin bastelte mit den „Feuer-Drachen“ mit Jugendlichen in Nepal.
Der Künstler zeigt seine Papierskulptur, den Drachen. Bild: Sina Schuldt/dpa