Bremen Es gibt Verabredungen, auf die freut man sich. Und es gibt welche, bei denen ist einem übel vor Aufregung. Wieder andere rufen gemischte Gefühle hervor. So ging es mir auch, als ich ein Date am Klinikum Ost hatte. Ein Date mit „Gert“, dem Alterssimulationsanzug der Geriatrischen Station. Auf einmal ein Greis, so fühlte ich mich. Zum Glück nur für wenige Stunden.
Ganz still liegt er da. Die Einzelteile fein säuberlich in einem Koffer verstaut, erwartet mich „Gert“. „Wird bestimmt nicht so schlimm“, denke ich. Doch als Jana Feuerschütz, Ergotherapeutin am Klinikum Ost, mich fragt, ob ich denn Wechselsachen dabei hätte, ahne ich Böses. „Nein“, antworte ich. „Brauche ich denn welche?“ „Wäre gut“, so ihre knappe Antwort.
Sie wird Recht behalten. „Gert“ fordert einen, und das nicht zu knapp. Innerhalb weniger Minuten wird jeder, der die Einzelteile des Anzugs über Knie, Hals, Ellenbogen, Handgelenke, Oberkörper und Füße zieht, etwa 30 bis 40 Jahre älter. Altern mit ein paar Klettverschlüssen. Langsam wächst die Anspannung.
Was anfangs nach einem entspannten Tag aussieht, entpuppt sich schnell als knüppelharte Übung für Körper und Geist. Etwas hilflos, die Gelenke sind nun künstlich versteift, lautet die erste Aufgabe: Treppen laufen. Klingt einfach, ist es aber nicht. „Etwas schneller, bitte“, sagt Feuerschütz, doch bei mir kommen nur gedämpfte Worte an. Riesige Kopfhörer machen es möglich. Im zwölften Stock des Klinikums herrschen fast 30 Grad, allein die Weste, die Übergewicht simulieren soll, wiegt etwa 20 Kilo. Das hatte ich mir definitiv angenehmer vorgestellt. Der Körper will – doch er kann nicht. Ein mieses Gefühl. Doch das war erst der Anfang.
Diabetische Retinopathie, Pigmentosa, Makuladegeneration – diese Begriffe hatte ich nie zuvor gehört. Jetzt bin ich an ihnen erkrankt. Sechs verschiedene Brillen simulieren sechs verschiedene Sehstörungen. Es wird düster, milchig, fleckig. Ich weiß, ich kann jederzeit aufhören, alles abbrechen. Hunderttausende von Menschen in Deutschland können das nicht. So langsam wird mir bewusst, womit viele alte Menschen leben. Und ich weiß auch: Eine Übung wird noch kommen.
„Sie haben jetzt einen Tremor“, sagt Feuerschütz ganz trocken. Sie zieht mir verkabelte Handschuhe an. „Schütten Sie Wasser ins Glas“, lautet die Anweisung der Ergotherapeutin. „Wenn’s nur das ist“, denke ich. Eigentlich hätte ich es wissen müssen. Diese Aufgabe wird kein Kinderspiel. Feuerschütz dreht an einem Regler, Stromstöße ziehen durch meine Hände. Alles zittert, alles vibriert. Anstatt das Wasser ins Glas zu befördern, landet der Großteil auf der Tischplatte. Ein paar Tropfen gehen ins Glas. Das gleiche Spiel von vorn. Jetzt mit Zucker. Ich versage erneut – und der Tee bleibt ungesüßt.
Alt werden kann schön sein, doch es ist nichts für Feiglinge, wie einst schon Schauspielerin Mae West anmerkte. Ich weiß jetzt, was sie damit meinte.