Friesoythe Aktueller hätte es kaum kommen können. Erst am Sonntag entschieden sich die SPD-Mitglieder mehrheitlich für die Große Koalition mit der CDU/CSU. Einen Tag später war der Kieler Politikwissenschaftler und gebürtige Friesoyther Professor Dr. Wilhelm Knelangen in Friesoythe zu Gast, um das Ergebnis der Bundestagswahl und die Regierungsbildung zu analysieren. Rund 50 interessierte Zuhörer kamen dafür auf Einladungs des Bildungswerks Friesoythe ins Franziskushaus.
Zu Anfang erläuterte Knelangen, weshalb die etablierten Parteien CDU und SPD in der heutigen Zeit viele Wähler verlieren. Hier fallen zum Beispiel soziale Ungerechtigkeiten in der Bevölkerung oder der Zuwachs an Flüchtlingen ins Gewicht. Die Ausgangslage vor der Bundestagswahl 2017 sei für die SPD generell schwierig gewesen. Und selbst als der große Gegner CDU im Zuge der Flüchtlingsthematik mit der Silvesternacht in Köln vermehrt in die Kritik geriet, konnte die SPD nicht profitieren, so der Politikwissenschaftler. Auf den kurzen Aufschwung mit der Ernennung von Martin Schulz zum Kanzlerkandidaten der SPD folgten Niederlagen bei den Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen. „Plötzlich wurde Schulz zur Belastung“, stellt Knelangen fest.
Nach der Bundestagswahl scheiterten die Verhandlungen zur Jamaika-Koalition aus CDU/CSU, der FDP und den Grünen. Für Knelangen hätte durchaus Potenzial bestanden, zum Beispiel um Wirtschaftlichkeit und Ökologie zu vereinen. Über die Einigung zwischen Union und SPD ist Knelangen trotzdem froh: „Es hätte viel schlimmer kommen können“. Eine Minderheitsregierung wäre problematisch für die deutsche Rolle in der Europäischen Union gewesen. Und Neuwahlen hätten der AfD sehr in die Karten gespielt, da die etablierten Parteien dann nicht einmal eine Regierung bilden könnten.
Dass die Große Koalition über vier Jahre erhalten bleibt, ist für Knelangen nicht sicher. Zumal ein großer Teil der SPD sich nach Erneuerung sehnt. Allen voran Kevin Kühnert, der Bundesvorsitzende der Jusos. „Opposition ist nicht gleich Erneuerung“, lautet Knelangens Meinung zu dieser Bewegung.
Für die Zukunft glaubt der Politikwissenschaftler weiterhin an ausgeglichene Wahlergebnisse. Die Zustimmung der Koalitionspartner sei genauso wichtig wie die Zustimmung der Wählerschaft. Eine Dominanz weniger Parteien werde es in Zukunft wohl nicht geben. Dies sei auch nicht der Normalfall. Dafür müsse man nur in andere europäische Länder schauen.