Berlin - Eine strikte Kontrolle nach der anderen, lange Schlangen und eine aus Platzmangel auf einer Leinwand übertragene Eröffnungsrede: Die Gäste der 13. Digitalkonferenz re;publica in Berlin merkten zu Beginn am Montagmorgen schnell, dass in diesem Jahr etwas anders war. Es hatte sich hoher Besuch angekündigt. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier eröffnete die re;publica. „Was hat eine so analoge Institution wie der Bundespräsident auf einer so digitalen Veranstaltung wie der re:publica zu suchen? Und: Wie weit ist es eigentlich mit dieser freigeistigen, ungebundenen, nicht-hierarchischen Konferenz gekommen, dass sie das Staatsoberhaupt zur Eröffnung bittet? Müssen wir etwa gleich noch die Nationalhymne mit ihm singen?“, fasste der Bundespräsident die Fragen, die sich das Publikum stellen musste, zusammen. Doch nicht die Etikette brachte Steinmeier zum Veranstaltungsgelände, sondern die Sache, sagte er. Denn im Mittelpunkt steht das Motto der re:publica: „Too long; didn‘t read“ (kurz: tl;dr).
Doch was steckt dahinter? Mit dem Internet-Slang-Motto, das auf deutsch „zu lang; nicht gelesen“ bedeutet, widmen sich die Konferenz-Macher der Langform, dem Kleingedruckten und den Fußnoten. Auch auf die Notwendigkeit, Themen kritisch zu hinterfragen und recherchieren, soll das Thema anspielen. „Dieses Motto ist ein Weckruf an die politische Debattenkultur“, sagte Steinmeier. Rund um „tl;dr“ stellen die Veranstalter der re:publica an insgesamt drei Tagen ein vielseitiges Rahmenprogramm auf die Beine.
Live-Übertragung im Museumspark in Berlin: Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier eröffnet die re;publica 2019. Foto: Christian Schwarz
Neben Drohnen, VR-Brillen und zahlreichen Ständen von Firmen und Organisationen bilden Vorträge und Workshops das Herzstück der Digitalkonferenz, die noch bis Mittwochabend stattfindet. Der Astronaut Alexander Gerst, Edmund Stoiber und Eko Fresh stehen unter anderem auf den re;publica-Bühnen. Themen wie Feminismus, Landflucht und Medienbildung für Kinder stehen darüber hinaus auf dem Programm der Konferenz.
20.000 Besucher und 1000 Referenten
Rund 20 000 Besucher werden zur Konferenz erwartet, die seit Montag bis Mittwoch in der „Station“, einem ehemaligen Bahnhof in Berlin, stattfindet. Um die 1000 Referenten präsentieren auf 27 Bühnen circa 500 Veranstaltungen.
Große Namen als Sponsoren
So frei und unabhängig sich die auf der re;publica beschworene Netzgemeinde gern sieht, so wenig kommt eine Konferenz auf diesem Niveau ohne Sponsoren aus. Und die Namen haben es in sich: Porsche, Google, Telekom und Tui präsentieren sich ebenso als Partner des Netztreffens wie diverse Stiftungen, Medien und politische Institutionen. Sie stellen sich an etlichen Ständen den Besuchern vor und laden diese zum Interagieren ein: zur 360-Grad-Reise in virtuelle Welten, zum Fake-News-Quiz oder zum Videospiel gegen den Comedian Shahak Shapira.
Das Netz gegen Sexismus
Fake-News-Jagd beim RBB und WDR. Foto: Christian Schwarz
Starke Frauen – es gibt sie in allen Bereichen. So auch auf der re;publica. Bei der Konferenz widmen sich viele Vorträge und Workshops dem Feminismus. Über die Frage, wer sich Feministin oder Feminist nennen darf, bis hin zur österreichischen Politikerin Sigi Maurer, die in ihrem Vortrag „It’s the patriarchy, stupid” von ihren Erfahrungen mit sexistischen Hassnachrichten im Internet erzählt. In dem Workshop „#UnfollowPatriarchy: Wie wir vor 25 Jahren das Patriarchat besiegten“ ging es beispielsweise am Montag um eine gedankliche Zeitreise ins Jahr 2044 und die Frage, wie kann Sexismus abgeschafft werden?
Digitales für den Nachwuchs
Eltern schieben Kinderwagen über das Gelände, im Museumspark nebenan steht ein Spielplatz - und zur „Tincon“, dem Festival der digitalen Jugendkultur, gibt es zwei verschiedene Eingänge: für Menschen im Alter unter 21 – und für „Erwachsene“. Kinder und Jugendliche sind auf der re;publica Mitwirkende und Thema: In den Veranstaltungen geht es um die Position von Minderjährigen in einer digitalisierten Gesellschaft, um Nachrichtenkompetenz in der Schule oder erste sinnvolle Kontakte von Kleinkindern mit digitalen Endgeräten.
Ruhe bitte, hier wird gelesen: Und zwar aus „Moby Dick“ von Herman Melville.
Das Werk schlängelt sich ausgedruckt auf 450 Metern durch eine der Veranstaltungshallen. Print ist nicht tot, auch nicht auf einer Digitalkonferenz.
Auf dem Innenhof der re;publica treffen sich Medienschaffende, Philosophen, Künstler, Aktivisten, Wissenschaftler, Geschäftsleute und viele mehr. Sie alle eint ein starkes Interesse an der Digitalisierung.
Für die NWZ in Berlin vor Ort (von links): Christian Schwarz, Anna-Lena Sachs, Chelsy Hass und Timo Ebbers.
Der Bundespräsident kommt: Da wird auch ein zweites und drittes Mal kritisch in die Taschen geschaut.
Da der Veranstaltungssaal überfüllt war, mussten sich viele Teilnehmer mit einer Live-Übertragung im angeschlossenen Museumspark begnügen.
Der Museumspark in Berlin hat viel Industriecharme des 19. Jahrhundert zu bieten, wie diesen Ringlokschuppen und den Wasserturm.
Gemütliche Liegen und immer einen Blick auf dem Smartphone. Die Dichte an digitalen Endgeräten ist auf dem Gelände der „Station Berlin“ naturgemäß sehr hoch.
Ob in der App oder dem Faltplan: Bei 500 Veranstaltungen muss der Tag auf der re;publica genau geplant werden.
Zahlreiche Sponsoren, darunter auch Google, präsentieren sich auf der Konferenz. Hier wird die Online-Darstellung von Kunstwerken der Staatlichen Museen Berlin gezeigt.
Virtual Reality ist schon traditionell ein großes Thema auf der re;publica. Mit entsprechenden Brillen ausgestattet, begeben sich die Teilnehmer auf eine Reise in die Vergangenheit oder in eine andere Welt.
Grüne Städte – so einfach
Grüne Städte, von weniger Abgasluft geplagt, sind einfach zu haben. Fragwürdige Messstationen wie in Oldenburg braucht es nicht, wenn es nach Mikael Colville-Andersons Polemik „Back to the future in urban design“ geht. Einfach kopieren, und zwar von der Vorzeige-Fahrradstadt Kopenhagen! Wichtig für ein solches neues Design sind Daten, die die natürlichen Wege der Radler aufzeichnen – und eine Menge Geld. Wenn die Stadt nicht will, müssen eben die Bewohner mit schlauen Ideen einspringen. Tu’s einfach, so Colville-Anderson, und trinke ein Bier dabei!
Nachhaltigkeit auf der re;publica
Nachhaltige Anfahrt: Die meisten Teilnehmer dieser Umfrage kamen zu Fuß oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Foto: Christian Schwarz
Der Klimawandel ist nicht mehr aufzuhalten und eine ganze Bewegung versucht, darauf aufmerksam zu machen: Auch die Themen Nachhaltigkeit, Klimaschutz und die „Fridays-for-Future“-Proteste stehen bei der re;publica auf dem Programm. So steht unter anderem die Frage, ob Jugendliche und Wissenschaftler die Politik jetzt auf den Kopf stellen, im Mittelpunkt einer Diskussionsrunde bei der Konferenz. In einem weiteren Vortrag geht es um die Meinungen von Wissenschaftlern zu den „Fridays-for-Future“-Demonstrationen. Gregor Hagedorn, Initiator von „Scientists4Future“, erklärt in diesem Programmpunkt zudem den Klimawandel unter wissenschaftlichen Aspekten. Wie sich das Plastikmüllproblem lösen lässt und nachhaltiger Konsum gelingt, das wird gleich in mehreren Workshops und Vorträgen thematisiert.
Ein Wal gegen Verkürzungen
Ausgedruckt auf einer 450 Meter langen Papierrolle erstreckt sich der Roman „Moby Dick“ von Herman Melville durch die „Station“ Berlin und dient als gedruckte Kulisse der re;publica. Hier soll dem Roman Tribut gezollt werden. Warum? „Jeder weiß, es geht um einen Wal, aber keiner hat’s gelesen“, hieß es am Montagmorgen bei der Eröffnung der Konferenz. Die Veranstalter machen darauf aufmerksam, dass schon lange nicht mehr nur Artikel in den sozialen Medien lediglich überflogen werden – getreu dem diesjährigen Motto „Too long; didn‘t read“. Die Macher der Konferenz wollen dazu auffordern, der Langform von Texten, Debatten und Themen mehr Beachtung zu schenken. Denn wenn Verkürzungen zu simplen Parolen werden, die missbraucht werden, um die Gesellschaft zu spalten, sollte man mit Informationen, Dialog und Solidarität dagegenhalten.
Und so haben es sich die re;publica-Macher vorgenommen, das gesamte Werk von Teilnehmern der Konferenz lesen zu lassen. An einem Tisch sitzen sich Vorleser und ein Prüfer gegenüber. Der Vortragende muss den Tisch verlassen, wenn er einen Fehler macht, dann darf ein anderer weitermachen. Am Ende der drei Tage soll das ganze Buch gelesen sein.
Hier wird aus „Moby Dick“ von Hermann Melville gelesen. Foto: Christian Schwarz
Beckedahl vs. Voss: Der Showdown zum EU-Urheberrecht
re;publica-Gründer und Journalist Markus Beckedahl (hier mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier) blickte auf die netzpolitischen Entscheidungen des vergangenen Jahres zurück. Foto: Britta Pedersen
Wer sich für die Auswirkungen des Internets auf die Gesellschaft interessiert, für den ist Markus Beckedahls Rückblick auf die netzpolitischen Entwicklungen des vergangenen Jahres unverzichtbar. Welche Entscheidungen haben die transparente, offene digitale Gesellschaft unterstützt, welche haben eher dem Profitstreben amerikanischer Tech-Giganten oder dem Kontrolldrang des Innenministeriums genutzt? Beckedahls Bilanz fällt negativ aus. Der Journalist und Gründer der Seite netzpolitik.org sitzt zudem am Dienstag Europaparlamentarier Axel Voss (CDU) gegenüber, der maßgeblich die umstrittene EU-Urheberrechtsreform zu verantworten hat – der nicht nur Beckedahl, sondern vermutlich ein Großteil der re;publica-Besucher kritisch gegenüberstehen.