Berlin - Plötzlich ist die Zeit auch schon vorüber, bleiben nur noch die Schlussworte. Martin Schulz ist als erster an der Reihe: „Wir leben in einer Zeit des Umbruchs“, beschwört er. „In dieser Zeit ist das beste Mittel der Mut zum Aufbruch, um die Zukunft zu gestalten, und nicht die Vergangenheit zu verwalten“, geht er noch einmal in die Offensive, setzt seinen kämpferischen Schlusspunkt zum Ende des großen TV-Duells vor rund 20 Millionen Zuschauern, übertragen von vier Sendern. Dann kommt die Kanzlerin noch einmal zu Wort: Sie habe die „Mischung aus Erfahrung der vergangen Jahre und der Neugier auf das Neue“, versucht sie ihren Trumpf als Fels in der Brandung zu ziehen. Deutschland müsse auch in zehn Jahren ein starkes Land sein. „Ich glaube, das wir das gemeinsam schaffen können“, sagt sie. „Dafür möchte ich arbeiten, darum bitte ich Sie um Vertrauen“, sagt die Kanzlerin, und wünscht den Zuschauern noch „einen guten Abend”.
Showdown in „Studio B“ in Berlin-Adlershof, drei Wochen vor der Bundestagswahl. Plötzlich knistert es. Hochspannung statt Schlafwagen-Wahlkampf. Wird es jetzt nach dem großen TV-Zweikampf noch einmal spannend bis zur Bundestagswahl am 24. September? Die SPD legt in Umfragen zu auf 24 Prozent –- geht da noch was? Gelingt am Ende noch eine fulminante Aufholjagd? Laut Demoskopen ist die Zahl der Unentschlossenen so hoch wie nie.
95 Minuten präsentieren sich Kanzlerin und Kandidat vor Millionenpublikum. Das erste – und einzige – direkte Aufeinandertreffen. Merkel gegen Schulz, Schulz gegen Merkel live zur besten Sendezeit, es ist der große Straßenfeger, aber auch das „Hochamt des Wahlkampfes“? Nur 1,40 Meter sind die Stehpulte der beiden voneinander Studio entfernt.
Merkel im blauen Blazer, Schulz im dunklen Anzug mit blauer Krawatte –- schnell wird klar: Das Tempo ist hoch. Es wird ein echtes Duell, kein Duett. Schulz gibt sich von Anfang an selbstbewusst. Jeder zweite Wähler in Deutschland sei noch nicht festgelegt, glaubt der SPD-Chef an seine Chance. Sie sei Vorsitzende einer Partei, die „für Maß und Mitte“ stehe, kontert Merkel. Seinen Vorwurf, die Kanzlerin begehe mit ihrem Wahlkampf-Stil, der auf Zuspitzung verzichtet, „einen Anschlag auf die Demokratie“, zieht er wieder zurück. In der Schärfe werde er das nicht wiederholen. Aber die Demokratie werde eben „nicht im Schlafwagen“ verteidigt, so Schulz.
Mit hohem Tempo geht es zur Sache. Migration, Außenpolitik, Europa, soziale Gerechtigkeit, der Diesel-Skandal, Innere Sicherheit – die großen Duell-Themen. „Wenn ich Kanzler werde...“, setzt Schulz an, als es um die Türkei-Politik geht. „Dann werde ich vorschlagen, die Beitrittsverhandlungen mit Ankara zu stoppen.“ Damit überrumpelt der die Kanzlerin, die zunächst heftig widerspricht. „Ob wir die Tür zuschlagen oder die Türkei – das wird man sehen“, antwortet Merkel. Man dürfe sich nicht im Wahlkampf gegenseitig überbieten im Wettbewerb darüber, wer härter sei. Doch dann schwenkt sie ein, erklärt, sie wolle versuchen, in der EU Einigkeit mit Blick auf den Abbruch der Beitrittsgespräche zu erzielen. Klarer Punkt für Schulz.
In der Flüchtlingspolitik räumt Merkel Fehler ein. Man habe sich zu wenig um die Lage in den Flüchtlingslagern in der Türkei und anderen Ländern der Region gekümmert. Das werde so nie wieder passieren „Tut mir leid, Frau Merkel...“, entgegnet Schulz. Der große Fehler der Kanzlerin sei gewesen, die anderen Länder Europas 2015 vor ihren Entscheidungen in der Flüchtlingspolitik nicht einbezogen zu haben. Merkel lässt den Vorwurf abtropfen – und macht klar, dass sie beim Thema Abschiebungen auf Konsequenz setzt, die Außengrenzen Europas besser schützen und Moscheen schließen will, „wenn dort Dinge geschehen, die uns nicht gefallen“.