Berlin Den Besiegten wurde der Katzentisch zugewiesen. Im Saal einer Villa in Berlin-Karlshorst erlebten die deutschen Generäle die ultimative Demütigung. In der Nacht vom 8. auf den 9. Mai 1945 unterzeichnete Generalfeldmarschall Wilhelm Keitel mit anderen Wehrmachtsoffizieren die Kapitulation im Zweiten Weltkrieg. So gingen vor 75 Jahren in Europa die Kämpfe zu Ende. Im Pazifik dauerte das noch länger.
Marschall Georgij Schukow, Sieger der Schlacht um Berlin und Oberbefehlshaber der sowjetischen Truppen in Deutschland, ordnete an, die deutschen Vertreter weder mit ihrem Rang anzureden noch sie zu grüßen. Nachdem die Übersetzung der Kapitulationsurkunde verlesen war, deutete Keitel an, dass ihm das Dokument zur Unterschrift vorzulegen sei. Schukow befahl: „Kommen Sie zum Schreiben hierher!“
In der Eingangshalle des Gebäudes, das von 1945 bis 1949 Sitz der Sowjetischen Militäradministration war, ist noch heute auf Kyrillisch zu lesen: „1941 - 1945 – Ruhm dem Großen Sieg“. Im Garten stehen Panzer und ein Raketenwerfer. Drinnen, im großen Saal des Deutsch-Russischen Museums, lässt sich noch Geschichte besichtigen.
Anders sieht es zehn Kilometer westlich aus. Wo sich Adolf Hitler am 30. April 1945 mit einem Pistolenschuss umbrachte und seine frisch vermählte Ehefrau Eva Braun eine Giftpille schluckte, weist nur eine schlichte Tafel auf den Ort hin. „Mythos und Geschichtszeugnis Führerbunker“ steht da, einen Sprung vom Holocaust-Mahnmal und vom Brandenburger Tor entfernt.
Im Mai 1945 liegt nach fast sechs Jahren Krieg das NS-Regime in Trümmern. Wie Höhlenbewohner ziehen Menschen durch die Ruinen. Bis zuletzt hatten die Deutschen durchgehalten, dem Regime zugejubelt oder es mit Gleichgültigkeit erduldet. Nur wenige leisteten hier und da Widerstand angesichts der vorrückenden West-Alliierten und der Roten Armee. „Die Stimmung war ängstlich, nicht aufsässig“, beschreibt der britische Historiker Ian Kershaw die Lage in den letzten Kriegsmonaten. Seit der Landung der Alliierten in der Normandie am „D-Day“ 6. Juni 1944 und dem Scheitern der Ardennen-Offensive im Winter 1944/45 ist das Ende in Sicht.
Die Nazis reagieren mit noch mehr Terror. Zweifler und „Defätisten“ werden unbarmherzig verfolgt. Mit dem „Volkssturm“, dem letzten militärischen Aufgebot, wird die Gesellschaft bis in den letzten Winkel militarisiert. Vieles läuft aber auch weiter. Die Verwaltung, die Propaganda, das kulturelle Leben. Am 16. April, als die Rote Armee im Anmarsch auf Berlin ist, spielen die Berliner Philharmoniker ihr letztes Konzert zu Kriegszeiten.
Der vorletzte Akt spielt in einer Schule in Reims. In der Rue Jolicœur, dem Obersten Hauptquartier der Alliierten Expeditionsstreitkräfte, ergibt sich am 7. Mai Generaloberst Alfred Jodl. Doch Stalin misstraut den Alliierten. Der sowjetische Machthaber verlangt eine Wiederholung der Zeremonie in Berlin.