Goodyear: Ich habe viele Berührungspunkte. Als 1997 die Übergabe Hongkongs aus britischer Hand an China im Fernsehen übertragen wurde, war ich noch Schulkind. Das fand ich so spannend, dass ich wusste: Ich will in die Ferne, ich will das sehen. Und 2004 bin ich hin gereist und habe anderthalb Jahre lang Grundschulkinder in Englisch unterrichtet und dabei viele verschiedene Einblicke gewonnen, was das Leben angeht, die Mentalität und den Staat. Das Art und Weise, wie Chinesen leben, ist einfach komplett anders. Es zählt viel mehr das Wir, als das Ich.
Goodyear: Was den Kommunismus angeht, muss man die geschichtlichen Hintergründe im Kopf behalten. China war lange Zeit sehr geschlossen. Der Westen wusste bis zu den Anfängen des 20. Jahrhunderts nur wenig über dieses Land. Noch immer ist es irgendwie eine Unbekannte – es ist sehr weit weg. Vor dem Kommunismus war Bürgerkrieg. Deshalb hatten die Menschen jetzt Hoffnung auf Besserung. Die Chinesen haben unglaublich unter dem Zweiten Weltkrieg gelitten. Die Mittelschicht ist enorm gewachsen – vor allem in den letzten 20 Jahren. Und das feiern die Chinesen – dass der Kommunismus ein System ist, das zwar Kommunismus heißt, aber auch andere Charakterzüge aufweist, so hat es der Vorgänger-Präsident Hu Chin Tao sinngemäß mal formuliert. Das Verständnis des Kapitalismus ist mit eingewoben, auch wenn das paradox scheint. Man könnte sagen: Es ist der Pragmatismus am Kommunismus, der zu funktionieren scheint. Es gibt durchaus demokratische Strukturen, vor allem in Schulen. Klassensprecher werden gewählt. Aber ich weiß nicht, inwieweit generell die Demokratie wirklich gewollt ist. Das umzusetzen halte ich für extrem schwierig. Dafür wurde aktuell der Flughafen in Peking eröffnet – das hat nur vier Jahre gedauert. Man kann nicht alles haben. Konsens ist glaube ich in China: Die kommunistische Partei arbeitet so, dass das Land sich entwickelt.
Goodyear: Die meisten, die ich kennengelernt habe, sind sehr ruhig. Junge Menschen sehen zum Beispiel China und Hongkong als getrennte Entwicklung, und sie wissen darüber Bescheid, dass andere Städte erst jetzt auf dem Standard sind, wie Hongkong schon lange ist. Der Fortschritt ist spürbar. Und deshalb sind sie dem System im Großen und Ganzen dankbar.
Goodyear: Die innere Ruhe der Menschen ist beeindruckend. Diejenigen, mit denen ich beruflich in Kontakt kam, sind tief philosophisch geprägt, kontaktfreudig, kommunikativ, humorvoll. Ich habe starkes Interesse daran, die einzelnen Menschen vor Ort kennenzulernen.
Goodyear: Oh ja, sehr. Ich würde sogar so weit gehen, zu sagen: Wenn es ein Vorbildland für die Chinesen gibt, dann ist es Deutschland. „Made in Germany“ hat immer noch viel Wert. Deutschland steht für Qualität und Technologie. Und China möchte in dieselbe Richtung. Es geht den Chinesen um das Modell Deutschland. Nicht nur, was die Wirtschaft angeht, auch was Ausbildungsstrukturen, Altersvorsorge usw. betrifft. China muss mit einer älter werdenden Gesellschaft überlegen, wie es weitergehen soll. Da ist das Konzept Deutschland Vorreiter.