Navigation überspringen
nordwest-zeitung
Abo-Angebote ePaper Newsletter App Prospekte Jobs Immo Trauer Shop

Online-Projekt Damit Hurreler nicht vergessen werden

Hurrel/Hude - „Jeder Mensch lebt zweimal: das erste Mal in der Wirklichkeit, das zweite Mal in der Erinnerung.“ Diese Worte des französischen Schriftstellers Honoré de Balzac hat sich der Hurreler Egon Wachtendorf zu Herzen genommen. Er hat im Internet die „Hurreler Gedächtnisseite“ geschaffen, damit Menschen, die in dem kleinen Dorf in der Gemeinde Hude gelebt haben, nicht (mehr) in Vergessenheit geraten.

Ambitioniertes Ziel

Das Ziel von Wachtendorf ist ambitioniert: Er möchte möglichst alle Personen, die jemals in Hurrel ihre Spuren hinterlassen haben, mit einer Biografie oder zumindest mit einem Foto und deren Lebensdaten verewigen. Und wo gehe das besser als im Internet? Denn „das Internet vergisst nicht“.

Häufig wird der Spruch genutzt, um Mitmenschen vor den Gefahren des weltweiten Netzes zu warnen. Doch für sein Projekt werde diese vermeintliche Schwäche – das Nichtvergessen – zur Stärke, sagt Wachtendorf.

Mit seiner Urgroßmutter Meta Rüscher hat Wachtendorf vor wenigen Wochen nun die 200. Biografie auf seiner Internetseite online gestellt. Geboren auf dem elterlichen Pachthof in Sandtange, wuchs Meta Rüscher in Hurrel auf. In die Nähe von Metas Geburt am 23. September 1880 fällt zeitlich auch die Fertigstellung des Kölner Domes. Solche historischen Gegebenheiten bindet Wachtendorf gerne in seine Biografien über die Verstorbenen ein. Und dabei stößt der Hurreler immer wieder auf interessante Begebenheiten und Verbindungen:

Historisch Spannendes

So wird Johanna Gesine Willenbrock – Rufname Gesine – am 27. Dezember 1901 in Delmenhorst geboren. Am selben Tag kommt in Berlin die spätere Berühmtheit Marlene Dietrich zur Welt. „Ein Ereignis, von dem freilich am Ende des Jahres 1901 außer den direkt Beteiligten noch niemand Kenntnis nimmt“, schreibt Wachtendorf. Aber es wird noch spannender.

Kurz nach Ersten Weltkrieg zieht Gesine Willenbrock mit ihren Eltern nach Hurrel und lebt dort, bis sie mit ihrem Mann nach Wilhelmshaven umsiedelt. Dort stirbt sie am 9. Oktober 1975.

Nur wenige Wochen zuvor schloss sich auch für Gesines astrologischen Zwilling Marlene Dietrich ein Kreis: „Nach einem Oberschenkelhalsbruch, den sie sich am 29. September 1975 bei einem Auftritt in Sydney zugezogen hat, tritt Deutschlands wohl berühmteste Schauspielerin aller Zeiten von der Bühne ab und verbringt den größten Teil ihres restlichen Lebens – sie stirbt am 6. Mai 1992 – im Bett ihrer Pariser Wohnung“, hat Wachtendorf recherchiert.

Ostern 2015 angefangen

Angefangen hat Wachtendorf mit seinem Online-Projekt vor ungefähr zweieinhalb Jahren – um Ostern 2015. Ein Jahr später waren die ersten 50 Biografien fertig und die Seite ging online.

Im Oktober 2016 stellte Wachtendorf dann die 100. Biografie ins Netz, und ein knappes Jahr später ist mit seiner Urgroßmutter Meta Rüscher die 200. Biografie fertig. „Mein Ziel war immer, eine Person pro Woche online zu stellen. Aktuell liege ich etwas drüber“, freut sich der Hurreler. Doch die Arbeit ist noch lange nicht abgeschlossen.

Infos immer willkommen

„Ich bin nach wie vor sehr interessiert an Informationen und Fotos von Personen, die hier in Hurrel gelebt haben", sagt Wachtendorf. Man wundere sich, wie viele Menschen sich schon früher haben fotografieren lassen.

Viele Bilder würden Familien vor ihren Höfen und Häusern zeigen, aber auch zahlreiche Porträtfotos aus den letzten beiden Jahrhunderten gebe es. Das Problem sei, dass viele Bilder, die beispielsweise Nachfahren auf Dachböden finden, weggeworfen werden, da diese die Personen auf den Bildern nicht mehr kennen.

Wachtendorf ist Journalist, Fachgebiet Wirtschaft, ausgezeichnet mit dem Helmut-Schmidt-Journalistenpreis. Er weiß, wie man recherchiert. Seine Grundlage ist das Buch „Hurrel, ein Dorf am Geest­rand“ des Dorfschullehrers Walter Janßen-Holldiek.

Aber Wachtendorf will mehr als Namen, Geburts- und Todestage, er will Biografien. Er forscht in Kirchenbüchern, er stöbert im digitalen NWZ -Archiv nach Familienanzeigen, er durchsucht Auswandererlisten.

Vor allem aber spricht er mit Hurrelern. So entstanden seine ersten Biografien – aus Erinnerungen von Personen, die in dem kleinen Dorf im Oldenburger Land leben.

Biografie aus den USA

Inzwischen melden sich bei Wachtendorf ehemalige Hurreler oder deren Nachkommen. Die Gedächtnisseite ist bekannter geworden – und das auch international. So hat sich eine Urenkelin von Heinrich Brockshus gemeldet. Geboren am 7. Januar 1867 in Hurrel, geht es für Heinrich Brockshus im Alter von 13 Jahren in die USA.

Nach der Ankunft in New York fahren Heinrich, seine Eltern und die beiden älteren Geschwister Bernhard und Aline mit dem Zug weiter ins rund 1600 Kilometer westwärts gelegene Iowa. Nach dem Schulbesuch bewirtschaftet Heinrich Brockshus eine Ranch in York Township, sieben Meilen östlich von Williamsburg. Er heiratet Bertha Lösekann, die aus dem von Hurrel nur 15 Kilometer entfernt liegenden Huntebrück in die USA ausgewandert war. Beide bekommen 13 Kinder. „Die Zahl ihrer direkten Nachfahren beläuft sich Anfang 2017 auf mehr als 300“, schreibt Wachtendorf. Trotz zweier Weltkriege, in denen die Vereinigten Staaten und Deutschland auf verschiedenen Seiten standen, habe er den Kontakt zu seiner Heimat nicht verloren und Briefkontakt gehalten.

Ein Wunsch von Brockshus war, seine ebenfalls in die USA ausgewanderte Halbschwester Mette wiederzusehen. Dieser Wunsch erfüllte sich nach 47 Jahren im Jahr 1916.

Heinrich Brockshus starb im Alter von 83 Jahren in Williamsburg.

Wachtendorf hofft auf weitere Nachfahren von ausgewanderten Hurrelern, die sich bei ihm melden, denn es waren nicht wenige, die im 19. Jahrhundert und später der deutschen Heimat den Rücken kehrten.

Und auch sie sollen nicht in Vergessenheit geraten, wünscht sich Wachtendorf.

Renke Hemken-Wulf
Renke Hemken-Wulf Redaktion Münsterland
Themen
Artikelempfehlungen der Redaktion

OLDENBURG GASTIERT BEI BW LOHNE „Unsinn“, „Wahnsinn“, „Blödsinn“: Mit so viel Wut im Bauch geht VfB ins Pokalhalbfinale

Lars Blancke Wolfgang Wittig Oldenburg
Reaktionen

OLDENBURG VERLIERT GEGEN KIEL VfB-Trainer Kilic: „Wir dürfen keine Totengräberstimmung in den Verein bekommen“

Lars Blancke Wolfgang Wittig Oldenburg
Interview

REICHSBÜRGER IN OSTFRIESLAND Frauen in der Szene – Expertin warnt vor einer unterschätzten Gefahr

Josepha Zastrow

STROMAUSFALL IN HOHENKIRCHEN Technischer Defekt löst „Explosion“ im Stromverteilerkasten aus

Hohenkirchen

KILIC-HEIMPREMIERE MISSLUNGEN VfB Oldenburg verliert gegen Kiel II und ist seit vier Spielen sieglos

Lars Blancke Oldenburg