Frage: Herr Wolffsohn, nach den Rechtsextremismusfällen und anderen Skandalen in Kasernen der Bundeswehr fordert Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen Nachhilfestunden für deutsche Soldaten. Ist das Aktivismus oder eine richtige Maßnahme, um die Probleme anzugehen?
Wolffsohn: Das ist ein absolut verständlicher und notwendiger Schritt. Es ist gut, dass die Ministerin „Würde und Wertschätzung“ oder „historische Bildung und Tradition“ auf die Ausbildungspläne der Bundeswehr setzt. Unterrichtseinheiten über Menschenwürde, Extremismus, Radikalismus und Terrorismus in der Gesellschaft und der Bundeswehr und die Aufarbeitung der deutschen Vergangenheit sind wichtige Themen. Die Frage ist allerdings, ob nicht nur die Bundeswehr das notwendige Instrumentarium hat, um solche Maßnahmen durchzuführen. Vor allem darf das Ganze nicht zur Staatsbürgerkunde werden – langweiligen Unterricht kann die Bundeswehr nicht brauchen – so wenig wie Schulen.
Frage: Die Ministerin hatte der Bundeswehr ein generelles „Haltungsproblem“ attestiert. Wie groß ist das Problem mit Rechtsextremismus und Gewalt bei der Truppe wirklich?
Wolffsohn: Frau von der Leyen hat das Problem völlig richtig analysiert. Und ihre Kritik an dem Haltungsproblem der Bundeswehr war auch kein Pauschalvorwurf, wie von manchen behauptet. Sie hat die notwendigen Konsequenzen aus der Summe diverser Einzelfälle gezogen. Hätte sie das nicht getan, hätte man ihr zu Recht vorgeworfen, auf dem rechten Auge blind zu sein. Die Vorfälle haben gezeigt, dass es gewaltige Probleme bei der Truppe gibt.
Frage: Lassen sich rechte Tendenzen in der Bundeswehr mit einem neuen Traditionserlass bekämpfen?
Wolffsohn: Antisemitismus ist kein Phänomen, das nur beim deutschen Militär auftritt – Antisemitismus gibt es seit dreitausend Jahren. Mit Vorschlägen zu seiner Überwindung ließen sich ganze Bibliotheken füllen. Vorurteile gleich welcher Art, Gewalt und Bosheit kann man leider nicht einfach so abschaffen. Ich bin skeptisch, was die Formbarkeit von Menschen und die Möglichkeiten von Aufklärung angeht. Aber deshalb darauf zu verzichten, wäre nicht hinnehmbar. Es muss immer wieder neu versucht werden.