Herr Gierse, mit einer breit angelegten Bundeskampagne machen der Familienbund der Katholiken (FDK) und der Deutsche Familienverband (DFV) auf Benachteiligungen von Familien in der Pflege-, Renten- und Krankenversicherung aufmerksam. Worum geht es dabei genau?

GierseWas trocken klingt, wirkt sich massiv im Geldbeutel aller Familien aus. Auf mindestens 2300 Euro beziffert Dr. Jürgen Borchert, langjähriger Richter am hessischen Landessozialgericht und profilierter Kritiker des deutschen Sozialsystems, den Betrag, mit dem Familien pro Kind und Jahr verfassungswidrig zu hoch belastet werden. Schon 2001 hatte das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass Eltern bei der Pflegeversicherung verfassungswidrig belastet werden, weil neben ihren Geldbeiträgen ihr gleichwertiger Erziehungsbeitrag nicht berücksichtigt werde. Der Gesetzgeber wurde verpflichtet, das zu ändern und auch die Kranken- und Rentenversicherung hinsichtlich der Familiengerechtigkeit zu prüfen.

Wo setzt nun Ihre Kritik an?

GierseKinderlose müssen seitdem einen leicht erhöhten Beitrag zur Pflegeversicherung zahlen. Eine Entlastung der Familien gab es jedoch nicht, und auch eine Berücksichtigung in der Kranken- und Rentenversicherung hat nie stattgefunden. Bis heute zahlen daher 14 Millionen Eltern mit minderjährigen Kindern doppelt in die Sozialversicherungen ein. Sogar der aktuell eingeführte Pflegefonds zementiert diese Ungerechtigkeit. Für ihn werden 0,1 Prozentpunkte mehr Beitrag erhoben, und auch den sollen Eltern zahlen.

Welches Ziel verfolgt die eingangs erwähnte Bundeskampagne?

GierseMit der Kampagne könnte sich das ändern. Begleitet vom Freiburger Familienbund haben jetzt drei Familien Revisionsverfahren beim Bundessozialgericht in Kassel erwirkt. Eines von ihnen wird im September als Musterverfahren entschieden. Gleichzeitig rufen beide Verbände Familien auf, bei ihren Krankenkassen Anträge auf Beitragsreduzierung einzureichen und im Ablehnungsfalle dagegen zu klagen. Juristisch geprüfte Musterschreiben stehen auf der Kampagnenseite www.elternklagen.de.

Alfons Gierse ist Geschäftsführer des Familienbundes der Katholiken, Landesverband Niedersachsen e.V. Er wirbt im Oldenburger Land um Teilnahme am ersten Elternaufstand in der Geschichte der Bundesrepublik.