Frage: Herr Fuest, Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) hat sein Rentenpaket vorgestellt. Zentrales Element ist die Ausweitung der Mütterrente. Eine sinnvolle Maßnahme, um Frauen vor Altersarmut zu schützen?
Fuest: Das ist eindeutig keine Maßnahme gegen Altersarmut, sondern eine Umverteilung zugunsten von Müttern und zu Lasten von Beitragszahlern und Steuerzahlern. Dass Mütter häufig auf Berufstätigkeit verzichtet haben, um Kinder erziehen zu können, ist richtig. Relevant ist auch, dass ein umlagefinanziertes Rentensystem ohne Kinder nicht funktioniert. Aber es gibt viele Mütter, die berufstätig waren und gut versorgt sind. Altersarmut gibt es außerdem auch bei Menschen, die keine Kinder haben. Wenn man Altersarmut bekämpfen will, sollte man die Grundsicherung erhöhen, das ist zielgenau. Die Grundsicherung selbst zu stigmatisieren, halte ich für unverantwortlich.
Frage: Zweites Element im Rentenpaket ist die höhere Unterstützung für Erwerbsgeminderte, um diese aus der Grundsicherung zu holen. Wird hier für mehr Gerechtigkeit gesorgt?
Wahn: Mit Gerechtigkeit hat das nichts zu tun. Erwerbsminderung ist ein Risiko, das uns alle betrifft, und wir alle sollten uns gegen dieses Risiko versichern. Die Ausweitung der Leistungen im Fall der Erwerbsminderung ist eine politische Entscheidung, zugunsten der Leistungsempfänger und zu Lasten der Beitragszahler oder der Steuerzahler umzuverteilen, die die Zuschüsse zur Rentenversicherung finanzieren. Nicht alle der Leistungsempfänger würden ohne die nun beschlossene Erhöhung die Grundsicherung beanspruchen. Auch hier gilt: eine zielgenaue Maßnahme gegen Altersarmut ist das nicht.
Frage: Heil will auch in die Rentenformel eingreifen, um Rentenniveau und Beiträge stabil zu halten – zu Lasten künftiger Generationen?
Fuest: Adam Riese gilt auch für die Rentenkasse. Ein stabiles Rentenniveau mit stabilen Beiträgen bedeutet bei alternder Bevölkerung, dass in der Rentenkasse ein Loch entsteht. Entweder muss also künftig die Lebensarbeitszeit noch mehr als bisher geplant verlängert werden, oder die Steuerzahler müssen mehr als heute in die Rentenkasse einzahlen. Die Politik sollte offenlegen, wie sie das Loch in der Rentenkasse stopfen möchte. Dass hier zu Lasten künftiger Generationen umverteilt wird, sollte man ebenfalls offen zugeben.
Frage: Um das Rentensystem dauerhaft zu stabilisieren, halten viele Experten eine längere Lebensarbeitszeit für notwendig. Sie auch?
Fuest: Ja, aber das sollte nicht die einzige Stellschraube sein. Da Menschen mit niedrigen Einkommen im Durchschnitt eine niedrigere Lebenserwartung haben, würde eine Anpassung allein durch längere Lebensarbeitszeiten diese Gruppe besonders stark belasten. Kürzungen des Rentenniveaus gehen stärker zu Lasten der Rentenempfänger mit längerer Lebenserwartung. Wie man die mit dem demografischen Wandel verbundenen Lasten verteilt, ist letztlich eine politische Entscheidung. Aber die Verteilungseffekte verschiedener Stellschrauben sollten offen diskutiert werden.