Göttingen Für Helene Grass ist es ein sichtlich schwerer Auftritt, bei dem die Schauspielerin ihre Gefühle nicht zeigen will. Ganz in Schwarz steht die 40-Jährige am Sonntag in Göttingen auf der Bühne des Deutschen Theaters und liest am Stehpult erstmals öffentlich aus dem letzten Buch ihres im April gestorbenen Vaters, des Literaturnobelpreisträgers Günter Grass. Das Buch „Vonne Endlichkait“ soll im August erscheinen.
Nach der Lesung als Kernstück der Matinee „Federleicht vogelfrei sein“ antwortet sie auf die Frage, wie schwer ihr dies gefallen sei: „Das ist mir zu persönlich.“
Der Göttinger Germanist und Präsident der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, Heinrich Detering, hat für Helene Grass die Texte ausgesucht. In seiner Einführung lobt Detering das trotz der ernsten Themen so leicht geschriebene Buch, das an die barocken Werke von Grass wie „Der Butt“ oder „Das Treffen in Telgte“ anknüpfe.
Grass wolle, wie sein Protagonist Martin Opitz im „Butt“, eine von Kriegen gequälte Zeit mit einer gemeinsamen Dichtersprache heilen. Der politische Grass lebt bis zuletzt, und so schreibt er streitlustig Briefe an „Mutti“, Bundeskanzlerin Angela Merkel, und den griechischen Ministerpräsidenten Alexis Tsipras.
„,Vonne Endlichkait‘ ist ein anrührendes, manchmal bezauberndes Kunstwerk geworden“, resümiert Detering. In dem Werk geht es um die letzten Dinge, um körperlichen Verfall, ums Sterben, auch um die Frage nach Gott.“ Im Kapitel „Eigentum“ heißt es: „Mein Gott, Dein Gott, unser Gott (...) soviel Gequassel, am Ende nur leere Flaschen ...weg ist er, weg.“
Ebenso drastisch wie grotesk und mit viel Humor beschreibt Grass die eigenen Altersbeschwerden. Im Kapitel „Abschied von restlichen Zähnen“ heißt es: „Nie verriet Klappern meinen dentalen Zustand“ – dank der Prothese. „Und nun ist es nur noch ein Zahn, der mir Standfestigkeit vortäuschen will.“ Mit offenem Mund erschreckt Grass seine Enkel und mimt dabei Höllengelächter.
„Als mir Geruch und Geschmack vergingen“, ist ein weiterer Textauszug, den Helene Grass mit viel Gefühl und professionellem Können liest. Grass glaubte schon, nie mehr etwas schmecken zu können, aber „ein Gott mit weißem Kittel und Spritzen“ half ihm. Er habe befürchtet, Abschied von allen Düften nehmen zu müssen, von Salbei, Rosmarin und Dill – und dem eigenen Furz.