Navigation überspringen
nordwest-zeitung
Abo-Angebote ePaper Newsletter App Prospekte Jobs Immo Trauer Shop

Alte Heimat nie aus dem Blick verloren

Plattdeutsche Lesungen sind für mich immer sehr interessant und unterhaltsam. Deshalb machte ich mich am 3. Advent auf den Weg nach Bookholzberg, um Bolko Bullerdiek erstmalig live zu erleben. Ich war begeistert von der Lesung, aber auch von dem Menschen.

Bolko Bullerdiek wohnt in Hamburg, ist aber in Bookholzberg aufgewachsen. Seine Eltern, Arthur und Berta Bullerdiek, stammen von dort. Das Elternhaus seiner Mutter ist das heutige „Karpathos“. Arthur Bullerdiek hatte Theologie studiert, wollte dann aber nicht mehr Pastor werden. Zusammen mit seiner Frau ging er nach Tansania, um in einer Missionsstation als Gewerbelehrer zu arbeiten. Am 9. Januar 1939 kam in Mbozi dann Bolko zur Welt. „Ich kann mich natürlich nicht an mein erstes Lebensjahr erinnern“, sagt er, „aber vor einigen Jahren war ich dort, sogar in dem Haus, in dem meine Eltern damals gewohnt haben.“

Als im September 1939 der Zweite Weltkrieg ausbrach, wurde sein Vater sofort interniert. Im Dezember wurden Berta und ihr Sohn Bolko auf ein Schiff gebracht, nachdem die Engländer sie des Landes verwiesen hatten. Hier traf Berta auch ihren Mann wieder, der ebenfalls ausreisen musste. Wieder in Bookholzberg angekommen, musste Arthur Bullerdiek bald zur Wehrmacht. Er fiel 1943 an der Front in Tunesien. Zwei Jahre zuvor war der zweite Sohn Hartwig geboren worden.

Nach dem Krieg teilte Berta Bullerdiek das schwere Los der Kriegerwitwen, die ihre Kinder durchbringen mussten. Sie arbeitete als Schneiderin. Die Leute kamen dabei nicht zu ihr, sie schneiderte immer vor Ort. Deshalb fuhren die beiden Söhne nach Schulschluss zu den jeweiligen Kunden und bekamen dort etwas zu essen.

Da der Ehemann nicht mehr da war, besprach Berta Bullerdiek vieles mit ihrem ältesten Sohn. „Dadurch bin ich ernsthafter aufgewachsen als andere Kinder in meinem Alter“, erzählt Bolko mir.

In seiner Jugend zeichnete Bolko viel. Deshalb sollte er Maler werden. Seine Mutter war froh, dass sie eine Lehrstelle für ihn gefunden hatte. Diese kündigte er jedoch, noch bevor er überhaupt einen Pinsel in die Hand genommen hatte. Mehr aus Not – er wusste nicht, was aus ihm werden sollte – besuchte er die Handelsschule in Delmenhorst. Bei den Deutschen Linoleum-Werken (DLW) in Delmenhorst machte er daraufhin eine Lehre zum Industriekaufmann. Er machte einen Abschluss mit „sehr gut“. Die DLW übernahm den hoffnungsvollen Mitarbeiter gern, aber er wusste sehr bald: „Das willst du nicht dein Leben lang machen.“

Bolko ging stattdessen in Oldenburg zur Schule und machte sein Abitur. „Während dieser Zeit habe ich an Selbstvertrauen gewonnen“, erzählt er mir. Hier reifte auch der Gedanke, Lehramt zu studieren. Nach neun Semestern Germanistik, Wirtschaftslehre und Pädagogik in Hamburg blieb er der Hansestadt treu und war dort zunächst zehn Jahre an einer beruflichen Schule tätig, wo er Literatur, Deutsch und Politik unterrichtete. Danach war er 28 Jahre am Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulentwicklung beschäftigt und dort verantwortlich für die Fortbildung der Deutschlehrer der Sekundarstufen.

Ein Buch für den Deutschunterricht, wie er sich es vorstellte, gab es nicht. Also verfasste er zusammen mit seiner Kollegin Annemarie Bunn das Buch „Kurzweilige Deutschstunden“, das inzwischen bereits in der neunten Auflage erhältlich ist. Außerdem arbeitete er an anderen Schulbüchern maßgeblich mit.

Durch die Trennung von seiner Ehefrau war Bolko Bullerdiek lange Jahre alleinerziehender Vater. Als seine Töchter Amrei (1967 geboren) und Sinje (1970) ihre eigenen Wege gingen, konnte er sich mehr dem Schreiben widmen. Zu dieser Zeit verspürte Bolko Bullerdiek Lust, etwas auf Plattdeutsch zu machen. Aber er beherrschte die Sprache nur unzulänglich. Seine Mutter, die Tanten und Großeltern hatten untereinander platt-, mit den Kindern aber nur hochdeutsch gesprochen. Bolko Bullerdiek war schon über 40 Jahre alt, als er seiner Mutter sagte: „Nu schnack platt mit mi!“

Spät, aber nicht zu spät, hat er sich der plattdeutschen Sprache gewidmet. Sein erstes Buch „Tohuus un annerwegens“ handelt zu einem großen Teil von „Antje“ und „Hein“, seinen Großeltern mütterlicherseits. Die Liste der von ihm geschriebenen Bücher ist lang. Schnell machte sich Bolko Bullerdiek unter den „Plattdeutschen“ einen Namen. So erhielt er wichtige Preise. 2000 machte er den ersten Platz beim Erzählwettbewerb des NDR „Vertell doch mal“.

„Fühlen Sie sich in Hamburg wohl?“, möchte ich zum Abschluss wissen. „Der Wechsel von Bookholzberg in die Großstadt war schon gewaltig – aber auch befreiend. In Groß Flottbek habe ich es nur wenige Minuten bis zur Elbe. Dort sitze ich gelegentlich abends mit Freunden an der Strandperle, beobachte die Containerdampfer und – in der beginnenden Nacht – die Lichter im Containerhafen.“ Trotzdem kehrt Bolko immer wieder gerne in seine alte Heimat zurück. „Allerdings“, sagt er, „nach dem Tod meiner Mutter und meiner Tante doch sehr viel seltener“.

Bolko Bullerdiek,

Schriftsteller mit Bookholzberger Wurzeln
Themen
Artikelempfehlungen der Redaktion

OLDENBURGER JUGENDFILMTAGE ZUR SEXUALBILDUNG Was ist eigentlich geil? Und was nicht?

Anja Biewald Oldenburg

OBERSCHULE EDEWECHT Sie kennen Krieg, Flucht und Armut – 34 Kinder aus zehn Nationen lernen Deutsch

Anja Biewald Edewecht

NACH BRAND IM BEACHCLUB NETHEN Spürhund im Einsatz – Polizei ermittelt mögliche Brandursache

Josepha Zastrow Nethen

UMWELTEXPERTIN IM LANDTAG Wie Grünen-Politikerin Marie Kollenrott die Klimaschützer einbindet

Stefan Idel Büro Hannover Hannover

NORDSEE-TOURISMUS 2023 So steht der Nordwesten im Vergleich zu den Niederlanden und Dänemark da

Sabrina Wendt Im Nordwesten