OLDENBURG Gisela Breitling beruft sich in ihrer Darstellung des Apokalyptischen Weibes auf die Beschreibungen des Endes der Welt nach der Offenbarung des Johannes. Am Beginn des Kapitels über den Kampf Satans gegen das Volk Gottes steht die Erscheinung des Weibes: „Dann erschien ein großes Zeichen am Himmel: eine Frau, mit der Sonne bekleidet; der Mond war unter ihren Füßen und ein Kranz von zwölf Sternen auf ihrem Haupt. Sie war schwanger und schrie vor Schmerz in ihren Geburtswehen.“
Die Radierung zeigt eine unbekleidete, gebärende Frau, die horizontal mit zurückgeworfenem Oberkörper, Kopf und Armen am Himmel über einer in Zerstörung befindlichen Stadtansicht liegt. Ihr Leib ist im Verhältnis zur den weiteren Bildgegenständen überproportional groß dargestellt.
Aus der Stadt im unteren Bildteil schießt eine vulkanartige Explosion empor und scheint ihren Körper aufzuspießen. Tatsächlich teilt diese aber die Sonne, die in einer Aureole um ihren Rumpf strahlt. Der Unterbauch der Frau hat sich bereits bedrohlich geöffnet und die Geburt scheint kurz bevor zu stehen.
Die fein gezeichnete Kreatürlichkeit der Gebärenden konfrontiert die Betrachtenden schonungslos mit ihrem Schmerz, der sich durch groteske Spreizungen sichtbar bis in die Finger- und Zehenspitzen zeigt. Die abgebildete Stadt wird von zahlreichen Explosionen, Vulkanausbrüchen, Eruptionen und Feuersbrünsten zerstört. Am unteren rechten Bildrand werden Menschen und groteske Kreaturen von einem Schlund in die Tiefe gezogen.
In der Tradition der Exegese wurde das Weib als Sinnbild der Kirche interpretiert, die gegen den Satan in der Figur des in der Offenbarung genannten Drachen, der darauf lauert, das Kind zu verschlingen, zu kämpfen habe. In Zeiten besonders ausgeprägter Marienverehrung, wurde die Gottesmutter selbst mit dem Apokalyptischen Weib assoziiert. Die Überwindung des Teufels wurde mit der Erlösung des Menschen von der Erbsünde durch Geburt und Tod ihres Sohnes gleichgesetzt. Die Bildtradition der Mondsichelmadonna, die vor einer Sonnenaureole erscheint, entstammt diesem Verständnis.
Das künstlerische Werk Gisela Breitlings, die 1939 in Berlin geboren wurde, ist durchsetzt von der Auseinandersetzung mit der Weiblichkeit sowie der Rolle der Frau in der Gesellschaft und erhebt die Stimme gegen die fehlende Anerkennung von künstlerischer Produktion der Frauen. Zudem engagiert sie sich seit 1980 in der neuen Frauenbewegung. Ihr Band „Die Spuren des Schiffs in den Wellen“ klagt das Fehlen von Künstlerinnen in der offiziellen Kunstgeschichtsschreibung an und unternimmt eine Wiederentdeckung zahlreicher vergessener Künstlerinnen.
Ihre Radierung „Das Apokalyptische Weib“ gelangte 1968 in das Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte in Oldenburg.