Bürgerfelde - Das Eis ruft: Mit Fritz und Toni, seinen ostfriesischen Freunden, war Erhard Brüchert am Donnerstag Eislaufen auf dem Fehntjer Tief. Am Freitag wollte er auch noch mal hin; die kalte Zeit – endlich – wieder nutzen für diesen Ausdauersport, den der 76-Jährige so liebt. Auch sein aktuelles Buch passt in die frostige Wetterlage: „Der Eisläufer“, so der Titel, ist gerade im Oldenburger Isensee-Verlag erschienen (236 Seiten, Preis: 14,90 Euro). Das Eislaufen spielt in dem Roman eine Rolle – aber nur eine von vielen.
Erhard Brüchert, Jahrgang 1941, in Pommern geboren, Flüchtlingskind, Oberstudienrat im Ruhestand, bis 2004 Lehrer für Deutsch und Geschichte am Gymnasium Eversten, Ehrenbaas des Heimatbundes für niederdeutsche Kultur „De Spieker“, preisgekrönter Autor von Novellen, Dokumentationen, Hörspielen, Theaterstücken und Romanen, hat die Idee für dieses Buch lange in seinem Kopf bewegt.
Besonders wichtig war es ihm, über das Thema „Integration“ zu schreiben, sagt der 76-Jährige. „Darüber wie der pommersche Jung in Ostfriesland und Oldenburg integriert worden ist.“ Und er wollte erzählen, dass man drei Heimaten haben kann. Und so ist ein Drittel seines Buches biografisch, zwei Drittel sind literarisch. Der sportliche Aspekt war dem fitten Pensionär auch wichtig. Über die „Tocht der Tochten“ („Tour der Touren“), die „Elfstedentocht“, das mit 200 Kilometer längste Eisrennen der Welt, hatte Brüchert bereits ein Dokumentation verfasst. Nun wollte er die „Elfstädtetour“, die in der niederländischen Provinz Friesland auf zugefrorenen Entwässerungskanälen, Flüssen und Seen veranstaltet wird, auch im Roman beschreiben: „Geschichtlich und das eigene Erlebnis“, erklärt er. Ja, Erhard Brüchert hat dieses Langstreckenrennen selber absolviert: Am 4. Januar 1997, in über 16 Stunden (mit Pausen). In seinem Roman erlebt man die Strapazen und das Naturschauspiel mit. Es war übrigens die bisher letzte „Elfstedentocht“: Zuletzt gab es zu wenig Frost.
„Ein weiterer Motivationsaspekt für dieses Buch war das Geschichts-Gen“, meint Verleger Florian Isensee. „Stimmt“, sagt Erhard Brüchert, betont aber: „Das ist kein Heimat-Roman, sondern besser ein historischer Nachkriegsroman.“
Das Buch umspannt die Zeit von 1941 bis 2014 und erzählt das Leben von Erich Riewe (alias Erhard Brüchert – aber eben nur zu einem Drittel). Dessen drei Heimaten sind Pommern (bis zum vierten Lebensjahr), Ostfriesland (Jugend und Ausbildung in Norden) sowie Oldenburg (Familie und Berufsleben).
Brüchert bindet seine Protagonisten in die Weltgeschichte ein, in die deutsche Nachkriegsgeschichte und in Heimatgeschichte. Vietnamkrieg, Mauerbau, die Sturmflut 1962 – das alles passiert in Erwin Riewes frühen Jahren – manchmal ist er mittendrin. Oder ist es doch Erhard Brüchert? Die große Liebe, kleine Affären, Vaterfreuden, Verluste – eben alles, was in einem Leben passieren kann, geschieht auch hier. Das Buch ist für Ältere wie Jüngere lesenswert. Die Generation Brücherts wird sich erinnern: „Ja, so war das damals.“ Die Jungen begreifen Geschichte anschaulich, weil die Romanfiguren sie gerade erleben.
Er habe seiner Mutter ein Denkmal setzen wollen, sagt Brüchert – dieser starken Frau, die vom verzärtelten Nesthäkchen zur Überlebenskünstlerin wurde. Eine wichtige Rolle im Buch spielt auch Jacobus Scheerstra, ein Fremdarbeiter aus den Niederlanden, der der Familie bei der Flucht aus Pommern hilft. „Es gab auch in der Realität einen Fremdarbeiter, aber nicht so einen“, verrät der Autor, der in Bürgerfelde wohnt.
Er selber sei zum Eislauf gekommen, weil das in Ostfriesland eben ein Volkssport ist. Im Buch wird Erich Riewe von Jacobus Scheerstra die Liebe zum Eis vermittelt. Das Buchcover zeigt einen Eisläufer, der sich auf dem Eis spiegelt. „Eine Doppelung: oben ist Erich unten Jacobus“, erklärt Erhard Brüchert.
Auf Seite 69 schreibt der Autor: „Der Eisläufer weiß auch immer, dass die Eisfläche keinen dauerhaften ewigen Zustand bietet. Man muss ständig prüfen, arbeiten, entscheiden und weiterlaufen.“
So ist das Leben – nicht nur auf dem Eis.