Oldenburg - Dieser Werther ist ein verdammt hübscher Kerl. Da kann man, wenn man so jung und unbedarft ist wie Charlotte, schon mal schwach werden und seinen braven Ehemann in spe, den „liebsten Menschen unter dem Himmel“, kurzzeitig vergessen.
So einfach ist das? So einfach. Und deshalb so schwierig. Denn „es ist in der Welt nichts Lächerlicheres erfunden worden als dieses Verhältnis“ zwischen Werther, Charlotte und Albert, das Johann Wolfgang Goethe 1774 so brillant als „Die Leiden des jungen Werther“ verfasste.
Generationen von Schülern haben sich seither mit Goethes Briefroman beschäftigt. Kein Wunder also, dass auffallend viele junge Menschen die Premiere im Oldenburgischen Staatstheater besuchten. Am Ende spendeten nicht nur sie stürmischen Beifall und so drängt sich die Frage auf: Was ist das Erfolgsgeheimnis dieser Inszenierung von Regisseur Karsten Dahlem, die – mit anderen Schauspielern und Musikern – bereits am Schauspiel in Essen Lobeshymnen erhielt?
Da ist sicher einmal ein geniales Konzept aus Bühnenfassung (Karsten Dahlem/Marc-Oliver Krampe) und Musik (Johann David Talinski/Hajo Wiesemann). Die Verantwortlichen haben Goethes Roman nicht wirklich umgeschrieben und doch wirkt alles neu, wenn nicht nur Werther in der Ich-Form erzählt, sondern alle drei Figuren das Liebesdrama durchleben.
Jedes Wort klingt wie ein pochender Herzschlag. Leid, Schmerz und Glückstaumel in dieser vertrackten Dreiecksbeziehung türmen sich zu einem großen Sturm. Auf Dauer hält das keiner aus. Nicht Werther, der zur Pistole greift, das wissen wir schon. Aber auch nicht Charlotte und Albert: Sie, zerrissen zwischen zwei Männern. Er, mit gebrochenem Herzen.
Das Publikum liebt alle drei und leidet mit. Da reicht ein gehauchtes „uhhh-uhhh“ von Klaas Schramm als Albert, um im Publikum Gänsehaut auszulösen, während sich Magdalena Höfner als Charlotte und Maximilian Pekrul als Werther neckend über den mit schwarzer Blumenerde bedeckten Boden zwischen Radieschen und Salat tollen.
Und immerzu jauchzende Gitarrenakkorde heizen „David & die Kernigen“ (Dirk Brumund-Rüther, Stefan Laube/Felix Weth) die liebesdurchtränkte Stimmung auf, schlagen himmelhoch an, zupfen Tränen und trommeln Herzschläge. Ihre Musik ein Rausch aus Liebeszitaten der Popkultur. Die drei Schauspieler singen verliebt, brüllen ihren Schmerz zuweilen heraus, rezitieren Goethe. Manchmal ganz sanft, doch meist so laut, dass man sich in ein Rockkonzert versetzt fühlt.
Die Darsteller sind ein Glücksgriff. Klaas Schramm gibt einen stattlichen Albert ab, der in seinem Anzug das Herz am rechten Fleck hat, aber ein miserabler Liebhaber ist. Maximilian Pekrul als Werther ist ein verliebter Kindskopf, dem man jedes geschwollene Wort von Natur und Liebe abnimmt, während er verträumt Spiegeleier brät. Magdalena Höfner wächst über sich hinaus und glänzt als Charlotte, die sich aufreibt zwischen lieber Ehefrau und begehrter Geliebter.