Hamburg In der Debatte um den Maler Emil Nolde hat der Literaturexperte Günter Berg den Schriftsteller Siegfried Lenz verteidigt. Die Annahme, Lenz (1926–2014) habe den Maler in seinem 1968 erschienenen Roman „Deutschstunde“ einseitig als Opfer eines Malverbots durch die Nazis stilisiert und damit den positiven Blick auf Nolde in der Nachkriegszeit mitgeprägt, beruhe auf einem Missverständnis über die Funktion von Literatur, sagte der frühere Verleger (Suhrkamp, Insel, Hoffmann und Campe) und Vorstand der Siegfried-Lenz-Stiftung. „Lenz hat mit der „Deutschstunde“ keinen Schlüsselroman über Nolde schreiben wollen“, betonte Berg.
„Es gibt die Sehnsucht, dass Literatur uns in jedem Detail über die Realität aufklärt. Aber das ist ein wirkliches Missverständnis“, sagte Berg. Im Fokus von Lenz habe der Konflikt des Malers mit den Nazis gestanden, und diesen Konflikt habe es ja gegeben – Nolde war wegen seiner expressionistischen Kunst von den Nazis als „entarteter Künstler“ verfemt worden.
„Deutschstunde“ zählt zu den größten literarischen Erfolgen in Deutschland nach 1945, wurde Pflichtlektüre im Schulunterricht und in viele Sprachen übersetzt. In der Romanfigur des Malers Nansen, gegen den die Nazis ein Malverbot verhängen, war unschwer als Vorbild Nolde zu erkennen. Mittlerweile haben neue wissenschaftliche Auswertungen des Nachlasses von Nolde (1867–1956) die antisemitische Haltung des Malers und seine Nähe zur NS-Ideologie untermauert. Darüber informiert seit Kurzem in Berlin die Ausstellung „Emil Nolde – Eine deutsche Legende. Der Künstler im Nationalsozialismus“, die bereits mehr als 10 000 Besucher angezogen hat. Zusätzliche Brisanz erfuhr das Thema dadurch, das Kanzlerin Angela Merkel zwei Nolde-Bilder aus ihrem Arbeitszimmer abhängen ließ.