Oldenburg /Hannover Am Ende des nervenzerfetzenden Prüfungsmarathons geht alles ganz fix. Titus Georgi wählt eine Telefonnummer, Anna-Lena Hitzfeld nimmt ab, nicht wissend, dass sich zehn Sekunden später ihr Leben völlig verändern wird. „Wir wollen dir gern einen Studienplatz anbieten, du hast bestanden“, sagt Regisseur und Prüfer Georgi – und hört nur noch Schluchzen. Die junge Schauspielerin ist überwältigt von ihren Gefühlen.
Es ist eine der berührendsten Szenen eines neuen Dokumentarfilms, der mit seiner intensiven Darstellung das Genre fast neu definiert. „Die Prüfung“ heißt das Werk von Regisseur Till Harms, ein unaufgeregter Titel für eine aufregende Angelegenheit: die zehntägige Aufnahmeprüfung an der staatlichen Schauspielschule Hannover.
687 Nachwuchsdarsteller hatten sich 2013 für einen der zehn Studienplätze interessiert, sie unterzogen sich (ebenso die Mitglieder der Prüfungskommission) einer Prozedur, die wohl zur härtesten dieser Branche gehört.
„Der Nervenkitzel ist schon sehr groß“, gesteht Anna-Lena Hitzfeld (24), schließlich hänge von den Tagen vor den zehn Prüfern so viel ab. Die erfolgreiche Bewerberin von einst steht inzwischen im dritten Studienjahr und ist momentan am Oldenburgischen Staatstheater in praktischer Ausbildung, ebenso wie Leon Hoge (23), der auch im Film vorkommt, und Maximiliane Haß (25), die in „Die Prüfung“ keinen Auftritt hat, aber eben diese Prüfung auch mit Bravour bestand. „Die Leidenschaft fürs Spielen“, meint sie, „die treibt einen voran in solchen Momenten.“
Till Harms hat die Seite der hoffnungsfrohen Bewerber mit viel Gespür für deren Ausnahmesituation dargestellt. Er hat aber – und darin ist „Die Prüfung“ einzigartig – sich besonders mit der Arbeit der Prüfungskommission befasst, hat gewissermaßen den Wunsch jedes Schülers, einmal bei der Zeugniskonferenz dabei zu sein, wahr gemacht.
Und dort geht es, anders als Hollywood in Musikfilmen wie „Flashdance“ oder „Fame“ bisweilen vorgaukelt, mindestens genauso stressreich zu. Es handele sich an dieser Hochschule „nicht um abgebrühte Entscheider oder zynische Richter, sondern um emotionale Kämpfer in eigener Sache auf der Suche nach den besten Bewerbern“, sagt Harms. Die Prüfer müssen sich und ihre Ansichten genauso kritisch hinterfragen lassen, wie sie die Prüflinge infrage stellen.
Der Kampf der potenziellen Studenten um die wenigen Hochschulplätze, und der Kampf der Dozenten um die besten Neulinge machen „Die Prüfung“ zu einem ungewöhnlichen Dokument, das zugleich dramatisch, spannend und humorvoll ist. Was Peter Hailer die Arbeit künftig erleichtern dürfte: Der Oberspielleiter am Staatstheater ist mit der Kooperation zwischen Oldenburger Spielstätte und Hannoveraner Hochschule zuständig und hat bisher „nur super Erfahrungen“ damit gemacht.
Was Hitzfeld, Haß und Hoge bestätigen: „Wir wollen für unseren Beruf eine vielseitige Ausbildung.“ Autodidakt auf der Bühne – das ist für sie keine Alternative.
Zumal auch die radikale Auslese in der Aufnahmeprüfung von Hannover beileibe kein Solitär ist in einer Schauspielkarriere: „Vorsprechen ist immer brutal“, weiß Hailer. „Das ist ein Nadelöhr.“ Anna-Lena Hitzfeld und ihre beiden Kollegen, die sich von den Film-Aufnahmen von 2013 überhaupt nicht gestört gefühlt hatten, sind damit einverstanden: „Das ist ja der Kampf um einen Traum!“
Ein Kampf, den die Dokumentation von Till Harms wunderbar unterhaltsam vor den Zuschauern ausbreitet.