Wilhelmshaven - Im November 1913 geht Kaiser Wilhelm II. im Spreewald auf die Jagd. In kaum mehr als einer Stunde – so ist es in Florian Illies’ Bestseller „1913“ vermerkt – treiben Helfer dem Kaiser 360 Tiere vor die Flinte. Zwei Adjutanten laden ihm die Gewehre. Beim Jagdschmaus empfiehlt der Monarch anschließend, ein Gedenkstein möge künftig an seine Leistung erinnern.
Die Episode steht beispielhaft für die Umbruch-Zeit an der Wende zum 20. Jahrhundert, als die Monarchien Europas bereits wie aus der Zeit gefallen wirkten, ohne dass die Monarchen selbst es zur Kenntnis nahmen. Wie anders ließ sich dieses Verhalten noch kommentieren als mit bis ins Absurde gesteigertem Spott?
Knallbunt angelegt
Vor diesem Hintergrund wird klar, welche Wellen der Franzose Alfred Jary 1896 mit seinem Drama „König Ubu“ auslösen musste, in dem er den völlig unreflektierten Machtanspruch der Autokraten ins Absurde übersteigerte. Ubu wird König für Kuttelwurst und eine große Kapuze.
Die Landesbühne Niedersachsen Nord hat das absurde Drama nun erfolgreich zum knallbunten Varieté-Musical aufgebrezelt. Am Sonnabend feierte das Publikum im fast ausverkauften Stadttheater Wilhelmshaven die Uraufführung von „Ubu, König“ mit anhaltendem Applaus.
Steffen Lebjedzinski (Ausstattung) hat die hervorragende sechsköpfige Band auf der Empore einer nostalgischen Bühnenfassade untergebracht, die nicht zufällig an einen Zirkus wie „Roncalli“ erinnert. Auch die schmissigen Songs von „Mardi Gras bb.“ – von Bandmitglied Jochen Wenz eigens neu getextet – erinnern daran und überhöhen die Handlung zur Clowneske.
Mittendrin agieren ein großartiger Christoph Sommer im Unterhemd des Kleinbürgers und ein kongenialer Felix Frederik Frenken wie klassische Weißclowns blass geschminkt mit großer Geste in den Hauptrollen von Vater und Mutter Ubu.
Regisseur Ingo Putz inszeniert sowohl konsequent wie einfallsreich eine Groteske über ungebändigte Machtgelüste. Auf einem Transparent über der Bühne prangen die Worte „Angst! Macht! Terror!“ und wollen zunächst gar nicht zum übrigen Ambiente passen. Doch hinter dem bunten Schein regiert Ubu mit eiserner Faust.
Putz lässt seinen Protagonisten den polnischen König (samt seiner mehlstaubenden Perücke) von einem Karussellpferd stürzen. Anschließend verrecken die adligen Minister, gespielt als Mohrrüben und Käsestücke, in einem großen Kochtopf.
Alle Hände voll zu tun
„Ich sage es nur einmal: Ich will mich bereichern“, erklärt der selbst ernannte, irre Machthaber sein Regierungsprogramm. Die Truppen des russischen Zaren machen dem Treiben vor der Pause schließlich ein Ende, inszeniert als Ballett von Basketballspielern.
Im zweiten Teil, einem weiteren Ubu-Drama Jarys, drängt der geflohene Protagonist sich seinen Zeitgenossen in Frankreich als Sklave auf, um sie wiederum zu beherrschen. Cino Djavid, André Lassen, Jarno Stiddien, Thomas Marx und Holger Spengler haben alle Hände voll zu tun, all die Rollen- und Kostümwechsel zu bewältigen, die das irrsinnige Stück ihnen abverlangt.