So schonungslos ging es lange nicht mehr in Ihren Büchern zu: massenhaftes Sterben, furchtbare Schlachten, blutiger Kampf von Mann gegen Mann...

Surminski : Ja, es geht recht grausam zu. Als meine Frau das Manuskript las, sagte sie: Ich kann bald nicht mehr weiterlesen, so schlimm ist das! Aber so war eben die Geschichte des napoleonischen Russlandfeldzugs 1812, und ein Antikriegsroman kann gar nicht grausam genug sein. Er soll ja abschrecken vom Krieg, das kann man nur mit der Schilderung von Grausamkeiten erreichen.

Man fragt sich bei historischen Romanen gern: Wie viel ist wahre Historie, wie viel Ihre Erfindung?

Surminski Natürlich stütze ich mich beim Russland-Feldzug von Napoleon Bonaparte auf Fachbücher und Archive. Die Grunddaten meines Romans stimmen mit historischen Fakten überein, also der Marsch auf Moskau, der Brand der Stadt, die blutige Schlacht bei Borodino, die Katastrophe der Grande Armée beim Übergang über den Fluss Beresina. Erfunden sind naturgemäß die Hauptfiguren des Romans, etwa der einfache Soldat Martin Millbacher, der Sohn eines Bauern an der Memel, der sich vom Glanz der Armee verführen lässt. Oder der Schweizer Henry, der mit Napoleon durch Europa zieht.

Das neue Buch „Der lange Weg“ – zum Schriftsteller Surminski

Der neue Roman von Arno Surminski mit dem Titel „Der lange Weg. Von der Memel zur Moskwa“ ist im Verlag Langen-Müller erschienen. Er hat 380 Seiten und kostet 24 Euro.

Surminski erzählt in dem Buch vom Schicksal des einfachen Soldaten Martin Millbacher, der mit Napoleon 1812 in den Krieg zieht. Doch Russland lässt sich nicht erobern. Bald kämpft Martin nicht gegen Russen, sondern gegen Hunger und Kälte. Er erlebt grausige Schlachten und erfährt, wie Menschen zu Raubtieren werden. Von über 600 000 Soldaten, schätzt man, kehrten nur 30 000 zurück.

Surminski wurde am 20. August 1934 in Jäglack/Ostpreußen geboren. Er wuchs als Flüchtlingskind in Schleswig-Holstein auf. Bekannt wurde er durch Erzählungen und Romane, die sich meist mit dem Schicksal der Vertriebenen aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten befassen. Zu seinen bekanntesten Büchern gehören „Jokehnen“, „Kudenow“, „Sommer 44 oder oder Wie lange fährt man von Deutschland nach Ostpreußen?“ und „Die Kinder von Moorhusen“.

Arno Surminski lebt heute mit seiner Familie in Hamburg.

Sie erzählen Geschichte aus der Perspektive von unten?

Surminski Ja, mich hat immer auch die andere Seite der Historie interessiert, denken Sie nur an meine Novelle „Die Vogelwelt von Auschwitz“. Und mich hat mein Leben lang geärgert, dass immer die Geschichte der Mächtigen, der Fürsten, Generäle, Feldherrn und ihrer Schlachten die Geschichtsbücher füllt. Das gilt auch für Napoleon und dessen Russlandfeldzug. Was seine Soldaten tatsächlich erlebt und erlitten haben – dieses ganze Leid der einfachen Leute, wird doch kaum erwähnt! Denen wollte ich mit meinem neuen Buch ein Denkmal setzen. Dazu brauche ich dann persönliche Schicksale.

Es gibt Historiker, die sagen: Geschichte wiederholt sich nicht.

Surminski Das ist Wunschdenken, denn natürlich wiederholt sich Geschichte. Deshalb habe ich am Ende des Romans einen Satz des Autors Halldór Laxness gestellt: „Die Geschichte wiederholt sich, und jedes Mal kostet es mehr.“

Ist das eine Anspielung auf Adolf Hitler, der über 100 Jahre später auch nach Osten zieht, auch Russland erobern möchte?

Surminski Ja. Hitler hat es auch versucht, Hitler ist auch an Russland und besonders an Russlands Winter gescheitert. Und im Zweiten Weltkrieg waren die Mittel der Grausamkeit ja noch viel stärker als zu Napoleons Zeiten.

Ihr Roman geht im Memelland los, spielt aber überwiegend in Russland. Schreiben Sie bald wieder ein Buch über Ostpreußen?

Surminski Ich habe noch sehr viele Themen auf der Pfanne. Gegenwärtig schreibe ich an einem Buch über das Leben eines Lokomotivführers aus Ostpreußen, der von 1914 bis 1955 mit der Eisenbahn durch Deutschland gefahren ist. Allein die Daten sagen viel, wenn man etwa an die Fahrten im Krieg oder in die deutschen Konzentrationslager denkt.

Sind Sie ein bekennender Eisenbahner?

Surminski Dass Schlimme ist, dass ich von den technischen Dingen keine Ahnung habe. Deshalb lasse ich das Manuskript jetzt auch von einem absoluten Fachmann prüfen – der Zug soll ja nicht irgendwo halten, wo niemals ein Bahnhof war!