OLDENBURG Die aus Zinn gefertigte barocke Weinkanne stammt aus dem Jahr 1693. Das Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte zeigt sie im März.
von Nils Hinrichsen OLDENBURG - Betrachtet man die untersetzte Balusterform der Zinnkanne eingehender, so bemerkt man nicht nur den äußerst spitzen Ausguss und den Kinderkopf, der als Daumenwiderlager des klappbaren Deckels dient. Beim zweiten Blick bleibt das Augenmerk auf der Gefäßwand haften. Dort entdeckt man eine gravierte Kartusche aus Blattzweig samt Inschrift, die trotz mehrerer notdürftig restaurierter Risse deutlich zu entziffern ist: „KIRCHEN UND ALTARKANNE - ZVM - KLOSTER BLANCKENBVRG - ANGESCHAFFET - ZV - M -W - R - ZEIT - ANO - 1693". Diese Inschrift verrät bereits etliche historische Details.
So erschließen sich daraus die sakrale Nutzung der Weinkanne als Abendmahlsgerät wie auch der Zeitpunkt ihrer Anschaffung 1693. Nicht zuletzt ist ihr der Einsatzort, das Kloster Blankenburg, zu entnehmen. Nach der Entschlüsselung der übrigen Kapitäle ist dann auch der Pastor dieser Zeit, Magister Wilhelm Rentzschig, bekannt, der die Blankenburger Gemeinde von 1692 bis 1699 betreute. Nach der Hinzuziehung ergänzender Quellen erhellen sich weitere Umstände, die zur Zeit der Anschaffung der Abendmahlskanne herrschten.
Hier muss zunächst festgehalten werden, dass das Dominikanerinnenkloster in Blankenburg seit der Reformation längst aufgehoben war, seine Gebäude zwischenzeitlich als gräfliche Brauerei dienten und das Anwesen von Graf Anton Günther 1634 in ein Armen- und Waisenhaus umgewandelt worden war.
Die Zusammenlegung des Armenhauses Blankenburg mit dem Armenhaus Hofswürden Ende des 17. Jahrhunderts – durchgeführt zur Konsolidierung der inzwischen hochverschuldeten Einrichtung – hatte naturgemäß eine erhöhte Belegung zur Folge. Danach war auch die versammelte Gemeinde während der Gottesdienste in der ehemaligen Klosterkirche um Einiges gewachsen. Das bislang ausreichende Altargerät (Altarkelch, Patene und Hostiendose) musste nun um eine Kanne zum Nachschenken des geweihten Weines ergänzt werden. Doch die weiter anhaltende Verschuldung Blankenburgs begrenzte den finanziellen Rahmen für Neuanschaffungen beträchtlich. Nicht, wie üblich, in Edelmetall, sondern in schlichterem Zinn wurde das sakrale Gefäß daher gefertigt.
Weitere Indizien weisen auf den herrschenden Sparzwang der frühneuzeitlichen Sozialeinrichtung an der Hunte hin. Eines findet sich direkt unter dem Deckel der Abendmahlskanne. Die dort eingeschlagene Meistermarke – eine Rose mit Krone und den Initialen L und V – bekundet den Oldenburger Zinngießer Lüder Vorlage als Hersteller. Doch das Zinngießerhandwerk der Stadt Oldenburg produzierte hauptsächlich für den Alltagsbedarf. In den vier Werkstätten wurden profane Teller, Schüsseln, Kannen, Becher und ähnliches hergestellt – kaum Gerätschaften für klerikale Ansprüche. Ein weiteres Indiz für die „Low-Budget-Kanne“: Die graue, stumpfe Oberfläche, die immer dann entsteht, wenn das verarbeitete Zinn mit einem relativ hohen Zusatz billigeren Bleis gestreckt ist.