NORDENHAM - „Bitte nicht den Autor mit dem Inhalt der Lieder gleichsetzen“, bat Anna Piechotta ihr Nordenhamer Publikum beim Konzert „Ganz Ohr“. Doch die Chansons stammen nicht nur aus ihrer Feder, sie spiegeln auch ein ganzes Stück vom Seelenleben der jungen Pianistin wider. Es sind Geschichten aus ihrem Umfeld und Alltagserlebnisse, aus denen die eigenen Songs komponiert werden.
Sehr selbstbewusst und mit einer umwerfenden Bühnenpräsenz ausgestattet, gelang es der Hannoveranerin erneut, mit ihren lebensnahen Geschichten das rund 60-köpfige Publikum in der Jahnhalle zu überzeugen.
Einige der Zuhörer outeten sich als Wiederholungstäter, ein Fan reiste gar aus Hamburg an. Wen wundert es bei einer derartigen lebensbejahenden Performance, die durch eine hohe musikalische Qualität und eine sehr authentische Präsentation überzeugte.
Glockenklare Stimme
Mit glockenklarer Stimme, ihrem mädchenhaften Augenaufschlag, der blitzschnell in die komische Ecke wechseln konnte, und in ihrem knallroten Outfit, schien die Künstlerin kein Wässerchen trüben zu können. Doch die mit viel Witz und schwarzem Humor gespickten Texte waren tiefgründig und wohlüberlegt.
Von gegoogelter Scheinliebe, liebestollen Guppys, dem Abschiednehmen im Seniorenheim oder werbemächtigen Plastikwörtern handelten sie und in ihrer Art und der ausgefeilten Wortwahl waren sie eindringlich und keineswegs oberflächlich.
„Liebeslieder zum Entlieben“ nannte sie Teile ihrer alten und neuen Songs. Beschwipste und melancholische wechselten sich ab und ergaben eine Berg- und Talfahrt der Gefühle. Denn Emotionen können die Lieder von Anna Piechotta durchaus auslösen.
Sensibel agiert die 30-Jährige an den Tasten und ebenso sensibel strickt sich auch der Inhalt ihrer Lieder, die mittendrin anzufangen scheinen und oftmals einen überraschenden Schluss haben.
Die an der Mosel aufgewachsene Wahlniedersächsin sucht bei ihren Auftritten stets das Zwiegespräch mit dem Publikum und bindet es in ihre Erlebniswelt ein. Dass sie dabei am Freitagabend auch einmal aus dem Tritt kam und den Text vergas, weil sie Namensvetterin Anna aus dem Publikum ein Geburtstagsständchen darbringen wollte, überspielte sie in ihrer charmanten und ungezwungenen Art. Und kein Zuhörer nahm es ihr übel.
Eine Weltpremiere
Eine Weltpremiere bot die Chansoniere ihrem wohlwollenden Publikum ebenfalls. Hierzu musste sie den Text noch vom weißen Blatt ablesen, so frisch war das Lied. Dort begegnet eine Frau einem waschechten Bayern, dem sie schließlich ihre polnische und schlesische Herkunft verrät. Der wählt daraufhin ein Mädel aus dem Musikantenstadl und läßt die hübsche Brünette einfach stehen, weil ja alle Polen klauen.
Als Zuhörer würde man sich mehr dieser kritischeren Lieder wünschen, denn ebenso wie bei dem Seniorenheim-Lied, hat Anna Piechotta das Talent, dem Publikum auf melancholische oder auch humorige Weise derartige Unbequemlichkeiten vor Augen zu führen und dabei auf offene Ohren zu treffen.