OLDENBURG - Warum erst jetzt? Warum konnte man diese Ausstellung über den Zweiten Weltkrieg nicht eher zeigen?
„Es ging nicht früher“, sagen Forscher. Gründe gab es genug. Einer ist verbunden mit der Sicht vieler Kinder oder Kindeskinder auf den Krieg von Vater oder Großvater. Erstens wurde er verloren. Zweitens war es, zumindest im Osten, ein barbarischer Vernichtungsfeldzug, auf den keiner stolz sein kann. Drittens schwiegen viele, die aus der Gefangenschaft heimkehrten. Ihre Berichte waren ohnehin nicht gerade bei Kindern oder Kindeskindern beliebt.
Man wollte nicht alte Pergamin-Seiten in Foto-Alben umblättern, war genervt, Landser-Anekdoten zu hören, die aussparten, was nicht genehm war. So wurde der Krieg im familiären Kartell des Schweigens entsorgt. Die einen mochten nicht über das Furchtbare reden, die anderen wollten es nicht hören.
Zackiger Abmarsch
Das hat sich erst geändert in einer Zeit, in der die Akteure von damals aussterben. Nach dem Aufruf, initiiert vom damaligen Oldenburger Professor Detlef Hoffmann vor zwei Jahren, erzählt Kuratorin Petra Bopp in Oldenburgs Stadtmuseum, „stand das Telefon nicht mehr still“. Es waren zu 90 Prozent die Töchter und Söhne, die sich meldeten und die ideologisch verschütteten Bilder hervorkramten.
Rund 150 private Fotoalben, nicht wenige aus dem Oldenburger Land, kamen zusammen. Es sind persönliche Blicke in zeitgeschichtliche Lebensläufe, die heute schon fremd wirken: einfache Soldaten beim zackigen Abmarsch, blankgescheuerte Stahlhelme über markigen Porträts (ganz der Leni-Riefenstahl-Propaganda nachgemimt) oder schon mal Kommiss auf gemütlich geputzt, etwa unter Landsern beim Picknick. Einige noch Lebende öffneten sich sogar für Interviews, die auf Videos gebannt wurden und in der Schau zu sehen sind. Authentischer geht es wahrscheinlich nicht mehr.
„Wir kopieren nicht die umstrittene Wehrmachtsausstellung“, betont Oldenburgs Museumsdirektor Friedrich Scheele („Mein Vater kämpfte in Stalingrad!“). Kunsthistorikerin Petra Bopp fügt an: „Es gab im Krieg keinen normalen Alltag. Wir zeigen, wie Soldaten privat den Krieg sahen, wie die jungen Männer erstmals im Ausland waren.“
Die Bilder, geschossen etwa von einer Agfa-Box oder Leica, sind ästhetisch beachtlich. Man spürt, dass Fotografie von den Nazis systematisch als Scharnier zwischen Heimat und Front gefördert wurde, dass Goebbels das Medium schätzte. Die Feldpost-Zensur hielt sich lange bei den Fotos zurück – nur Exekutionen durften nicht dokumentiert werden.
Ästhetisch wertvoll
Die Bilder sind nicht einfach nur geknipst. Sie bestechen – unabhängig vom Inhalt – was Bildhierarchie, Lichteinfall, Arrangement der Szene betrifft. Das „Heldengrab“ wird grundsätzlich leicht von unten ins Bild gefasst. Und dadurch mächtig stilisiert. Gewiss, viele Aufnahmen sind austauschbar, etwa 1940 das Erinnerungsfoto beim Eiffelturm. Im Osten rückt dagegen der „Untermensch“ der Nazis ins Blickfeld, der Russe im abgefackelten Dorf. Da erhält der Titel der Schau – „Fremde im Visier“ – einen schrecklich zutreffenden Unterton. Ein Bildchen, idyllisch anzusehen, zeigt, wie eine junge Frau mit gerafftem Rock durch einen seichten Fluss watet.
Erst die krakelige Bildzeile erklärt das Scheußliche: „Die Minenprobe, 1942“. Die junge Frau ging irgendwo am Don voran. Ihr Körper war das Minensuchgerät der deutschen Soldaten. Spätestens da versteht jeder, warum der Vater nicht darüber redete. Und wir es nicht hören wollten.