Oldenburg - Lucinda bedeutet „die Leuchtende“. In Lara Schützsacks „Und auch so bitterkalt“ – ein 2014 erschienener preisgekrönter Jugendroman – trägt die Hauptperson diesen schönen Namen.

Doch in der Geschichte ist wenig Lichtvolles zu spüren. Im Gegenteil: Magersucht, Depressionen, Suizid und seelisches Leid machen die Lektüre zur schweren Kost.

Lucinda ist eine lebenslustige, aber in sich selbst gefangene Pubertierende mit sehr enger Bindung an ihre jüngere Schwester Malina. Die Mutter, besorgt um die ältere magersüchtige Tochter, findet keine innere Nähe zu ihr. Der Vater wirkt abgewandt. Lucindas Liebe gilt dem Jungen Jarvis; dessen dramatisches Ende auch ihr eigenes einläutet.

Die Magersucht ist in diesem Roman nicht nur eine Krankheit, sondern gibt komplexen familiären und persönlichen Problemen Ausdruck. 2014 erhielt die damals 33 Jahre alte Autorin den Oldenburger Kinder- und Jugendbuchpreis für ihren Debütroman.

Pavel Möller-Lück und Esther Vorwerk bringen eine eigene Fassung des Romans als erste Produktion der neu eröffneten Limonadenfabrik auf die Bühne. Esther Vorwerk, die alle handelnden Personen spielt, verleiht dem Thema Gewicht und Tiefe.

An einigen Stellen, etwa wenn der Paketbote die bestellte Katze bringt – darf gelacht werden. Aber leichtfüßige Momente sind rar. Gefühle der Einsamkeit, die Wut, erschreckendes Nichtverstehen zwischen Mutter und Tochter, die Fremdheit des Vaters, die Abgründe in der Begegnung mit dem Psychologen: Grandios verlebendigt die 29 Jahre alte Schauspielerin die Stufen hinab zum schrecklichen, deprimierenden Ende.

Oder sind es Stufen hinauf? Malina, die sich rückblickend an die dramatischen Jahre erinnert, nimmt zum Ausklang des Bühnenstücks eine erlösende Botschaft mit: Mach’ Dich auf die Suche nach Deiner eigenen Welt; steh’ zu Dir! Für Heranwachsende ist kaum eine Botschaft wichtiger als diese. Und wenn Malina – und damit der Zuschauer – am Ende diese Erkenntnis in sich verankern kann, war das Leid in der Familie nicht umsonst.

Langer Applaus bewies, dass sich Premierengäste auf dieses anstrengende, berührende Stück eingelassen haben. Ob Schülerinnen und Schüler ihnen folgen, werden die kommenden Wochen zeigen. Denn nicht zuletzt Schulklassen wollen Pavel Möller-Lück und Esther Vorwerk mit dem neuen Werk ansprechen. Eine Gesprächsrunde soll die Vorführungen abrunden – sicher eine gute Idee angesichts des Reflexionsbedarfs.

Die Welt von Lucinda ist nicht konstruiert, sie ist real. Aber sie ist nicht typisch für die junge Generation. „Und auch so bitterkalt“ regt zum Nachdenken an – das ist die Stärke dieser Produktion. Auch wenn es unter jungen Leuten erfreulich viele „Lucindas“ gibt, die ihrem Namen alle Ehre machen.

Christoph Kiefer
Christoph Kiefer Reportage-Redaktion (Chefreporter)