Berlin - Gäbe es eine Liste deutscher Autoren, die sich über Skandale freuen und die Gemüter erhitzen, Dramatiker Rolf Hochhuth stünde unerreichbar weit oben. Am Mittwoch ist der unbequeme Geist im Alter von 89 Jahren in Berlin gestorben.

Der Sohn eines Schuhfabrikanten stammt aus dem nordhessischen Eschwege, erlernte den Beruf des Buchhändlers, arbeitete in Marburg, Kassel, München und trat 1955 als Verlagslektor in den Bertelsmann Lesering ein. Dort gab er hervorragende Werkausgaben und Erzähl-Anthologien heraus.

1963 kam dann der literarische Durchbruch. Das Stück „Der Stellvertreter“ erschien als Buch und wurde von Erwin Piscator in Berlin uraufgeführt – und natürlich, wie bei Hochhuth bald üblich, ein Riesenskandal. Ging es doch um das Verhältnis des Vatikans zum Holocaust. Vielmehr: um das Versagen des Vatikans angesichts der Judenvernichtung durch die Nazis. Das Drama wurde zum Welterfolg und Hochhuth zum ewigen Provokateur. Bis ins hohe Alter schimpfte er gern. Besonders über Theater. Lange war sein Lieblingsfeind Claus Peymann vom Berliner Ensemble, das eigentlich Hochhuth gehört über die Stiftung seiner Mutter, aber das ist eine lange Geschichte.

Stets warf sich Hochhuth gern das Sakko über die Schultern und wetterte leicht vorgebeugt. Dabei wendete er das durch eine Gesichtslähmung leicht starre Gesicht aufgeregt hin und her. In Oldenburg wollte er mal bei einem seiner gelegentlichen Besuche das Schloss sehen. „Da hat doch der Marek den Bestseller ,Götter, Gräber und Gelehrte‘ angefangen!“ Also sind wir hingetappert. 100 Meter davor blieb er stehen. „Aha!“ Es reichte ihm. Schon drehte er sich um.

„Wussten Sie, dass der Marek, der sich als Schriftsteller Ceram nannte, mit dem Ernst von Salomon bei Rowohlt im Verlag tätig war?“ Wusste man nicht. Aber es stimmt. Es stimmt meist, was Hochhuth erzählte. Und er erzählte viel. Einmal erklärte er, warum er gern Schlips trägt. Er hob den Binder an: „Eine Krawatte halbiert den Bauch!“. Dazu lachte er, wie nur er lachen kann. Einmal hat er den „Raubtierkapitalismus“ attackiert. Die „Arbeitsplatzkiller“ seien die wahren „Terroristen“. Einmal hat er die Wende 1989 als Exempel dafür gesehen, wie ein reicher Bruder den armen über den Tisch zieht. Sein Stück „Wessis in Weimar“ zeigte ein besetztes Land.

Hochhuth konnte und wollte zu allem alles sagen. Waren es nicht die alten Griechen, die das Entstehen von Kreativität aus dem Chaos erklärten? Wer die Gnade hatte, Texte von ihm redigieren zu dürfen, wie der Verfasser dieser Zeilen, der hält selbst abstrakteste Kunst für Erstlesestoff. Der Mann war ein wandelndes Lexikon.

Hochhuth hat spannende Dramen geschrieben (zum Beispiel „Guerillas“, „Die Hebamme“, „McKinsey kommt“), die sich besser lesen als aufführen lassen. Er hat auch zahlreiche Gedichte gedrechselt, was wir der Vollständigkeit halber erwähnen. Er hat Essays verfasst, die klug und verästelt sind – und kluge und Verästelungen liebende Leser brauchen. Er hat 1978 den baden-württembergischen Ministerpräsidenten und Ex-Marinerichter Hans Filbinger (CDU) als „furchtbaren Juristen“ bezeichnet und trat eine Debatte über die NS-Vergangenheit des Politikers los – die in dessen Rücktritt mündete.

Hochhuth hatte immer was zu schimpfen. Er konnte sich furchtbar aufregen und vor Wut glühend zetern. Man konnte sich leicht mit ihm verkrachen. Man konnte wunderbar mit ihm lachen. Es war keine Minute langweilig mit ihm. Er trotzte jedem Sturm. Er raunzte und rüffelte, gab nie Ruhe. Gut, dass wir ihn hatten. Er wird uns fehlen.