Oldenburg - Wie der Tatort entstand? Durch Konkurrenz. Die Kriminalfilme des neu gestarteten ZDF setzten die ARD mächtig unter Druck – und verschafften dem jungen WDR-Redakteur und Dramaturgen Gunther Witte 1969 den wichtigsten Sonderauftrag seines Lebens. Abteilungsleiter Rohrbach fast konspirativ: „Herr Witte, wir müssen etwas machen gegen die Unterhaltungsoffensive des ZDF. Entwickeln Sie uns eine Krimiserie!“

Witte entwickelte, schon damals als Regional-Produktion der einzelnen Sender angelegt – „und seitdem haben wir alle am Sonntagabend so eine schöne gemeinsame Beschäftigung“, sagt Monika Eden vom Literaturbüro, die Witte mit der Literaturkritikerin und Tatort-Expertin Katrin Hillgruber kurz vor der Ausstrahlung der 1000. Folge ins Wilhelm 13 eingeladen hatte.

Im Publikum: Tatort-Fans in jedem Alter. „Wir zelebrieren das jede Woche“, sagt Referendarin Anja Seemann, die seit Jahren eine feste Tatort-Gruppe hat, Tatort-Seminare an der Uni belegt und Falke, Borowski und Brandt liebt. Germanistik-Studentin Deike Symens (21) sagt: „Ich bin mit 15 auf dem Familien-Sofa Tatort-sozialisiert worden. Diese Abende sind bis heute etwas Familiäres für mich.“

1000 Tatorte, unzählige Tote, aber auch 1a-Aufklärungsquote. Gunther Witte würde trotzdem mal auf die Bremse treten. „Dass jetzt 35 Tatorte im Jahr gesendet werden, ist ok, aber man kann es auch übertreiben.“ Zu seiner Zeit waren es zwölf im Jahr.

Und was für welche. Karin Hillgruber blickt vor allem auf die Anfangsjahrzehnte: auf „Taxi nach Leipzig“ natürlich, den Ersten von allen, mit Trimmel, dies- und jenseits der innerdeutschen Grenze auf der Jagd nach dem Verbrechen. Unvergesslicher Satz, als die Waffe auf ihn gerichtet wird: „Das lass’ mal, mein Junge. Ballern können sie alle, wenn sie nicht weiter wissen.“ Hat damals gewirkt.

„Die Reihe muss eine Geschichte erzählen, die in unserer Wirklichkeit möglich ist“, sagt Witte. Alltägliches, bürgerliches deutsches Leben ist die Folie, auf der die Grenze des Erlaubten mal schleichend, mal abrupt überschritten wird, zunehmend gern mit gesellschaftlicher Brisanz – und die Nation kombiniert, hofft, hilft und verzweifelt mit. Beste Unterhaltung eben.

Das galt auch für den Zollfahnder Kressin, „ein deutscher, junger Bond“, sagt Hillgruber. Witte nickt. Kressin durfte 1972 erstmals ’ran, in „Tote Taube in der Beethovenstraße“ von Samuel Fuller. Der Hollywood-Regisseur Fuller? Witte erinnert sich: „Fuller war verheiratet mit einer deutschen Schauspielerin. Für die wollte er eine große Rolle haben. Kressin hat er schon nach fünf Minuten ’rausgeschmissen und alles mit seinen Leuten gemacht. Wir haben uns gedacht, dafür haben wir jetzt einen Fuller.“

Witte (79), der aus Riga stammt und Jugend und Studium in Ostberlin verbrachte, sagt: „Ich kannte nur den Rias, und da die Reihe ,Es geschah in Berlin’ – sehr spannende, dokumentarische Krimis. Geklaut habe ich diese Spannung und die Anbindung an einen Ort.“ Für den späteren Fernsehspiel-Chef des WDR (1979 bis 1998) ist das bis heute „entscheidender Faktor für den Erfolg“ geblieben.

Hillgruber wirft unterdessen weiter Schlaglichter auf Felmy, Wussow, George, Schwartzkopf – und auf die, denen sie beispringen: Frau Böhler zum Beispiel, die mit ihrer Witwenrente Opfer eines falschen Polizisten wird, gerade, als sie da so eine ungute Vorahnung hat: „Kann ich mal ihren Polizeiausweis sehen? Das ist ja, das ist ja...“ Boing! Ein Fall für Kommissar Liersdahl in Saarbrücken.

Und wo bleibt ein Tatort-Vater nach 999 Tatorten noch gerne hängen? Jubiläums-Ermittlerin Lindholm nennt er nicht, was Freunde hoher Schauspielkunst freuen mag. Nein, Witte, großer George-Fan, mag die Jungs aus Münster: „Ich hätte nicht gedacht, dass eine Kriminalkomödie Teil des Tatorts sein kann. Aber jetzt finde ich es toll.“

Karsten Röhr
Karsten Röhr Redaktion Oldenburg