Varel - Der Himmel ist grau, Kälte und Regen bestimmen den Morgen. Vor dem Lothar-Meyer-Gymnasium hat sich eine große Gruppe von Schülern versammelt. Um 9.50 Uhr begeben sich die 150 Jugendlichen der zehnten Klassen geschlossen in die Aula der Schule. Hier beginnt ihr Erinnerungsgang an die jüdischen Opfer des Novemberpogroms vor 80 Jahren in Varel. Die Veranstaltung wurde von den Schülern selbst gestaltet.
„Wir kommen heute zusammen, um an die Gräueltaten zu erinnern, die an unseren jüdischen Mitbürgern in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 begangen wurden“, sagte die Schulleiterin Astrid Geisler.
Bevor der Erinnerungsgang begann, erzählten Schüler, was die Pogromnacht war und wodurch sie entstanden ist. Ebenfalls berichtete Kurt Lawangen von Ludwig und Emelie Frank sowie Ernst und Jette Weinberg – jüdische Mitbürger, die dem nationalsozialistischen Regime zum Opfer gefallen sind.
In der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 organisierte das nationalsozialistische Regime Gewaltmaßnahmen gegen Juden im gesamten Deutschen Reich. Auch in Varel brannte die Synagoge und es wurden Geschäfte und Wohnungen von jüdischen Mitbürgern zerstört und geplündert.
Im Jahr 1933 lebten noch mindestens 44 Personen jüdischen Glaubens in Varel. In den folgenden Jahren sind Gemeindemitglieder aufgrund der Repressalien durch die Nationalsozialisten weggezogen beziehungsweise ausgewandert oder kamen im Konzentrationslager um.
Musikalisch begleitet wurden die Vorträge von der Musikklasse der 7 b. Als der letzte Ton der Musikgruppe verklungen war, machten sich die Schüler auf den Weg zum Gedenkstein der Synagoge der jüdischen Gemeinde in der Osterstraße. Mit dabei waren ihre Lehrer und der 1. Vorsitzende der jüdischen Gemeinde zu Oldenburg, Jehuda Wältermann, und seine Frau.
Die Schüler versammelten sich um den Gedenkstein. Aus der Gruppe traten zwei der Zehntklässler hervor. Sie trugen einen Kranz mit der Aufschrift „Den jüdischen Opfern des Novemberpogroms“. Danach legten alle eine Schweigeminute ein. „In diesem Moment war ich traurig. Ich dachte an die Opfer, die kein normales Leben in Frieden hatten und an die, die ihr Leben verloren haben“, sagte Sarah Harb.
Auf den Erinnerungsgang sind die Jugendlichen selbst gekommen. „Die zehnten Klassen haben momentan die Zeit des NS-Regimes im Geschichtsunterricht“, sagte Morten Kollstede, Lehrer für Musik und Geschichte. „Sie wollen damit ein Zeichen gegen Antisemitismus setzen und so auch andere daran erinnern.“
Die Schüler würden unbefangen an das Thema herangehen, „es steht weniger die Frage im Raum, wer schuld hat, sondern eher, was man machen kann, damit das nicht noch einmal passiert“, sagte Kollstede. Dabei ist den Schülern die Zeit des NS-Regimes nicht unbekannt. Viele kennen Geschichten von ihren Groß- oder Urgroßeltern, die diese Zeit miterlebt haben.
Aber auch heute bemerken die Schüler im Alltag noch viele Anfeindungen, nicht nur gegen Juden: „Ich seh selber, dass Leute einfach blöd angemacht werden“, sagt Sarah Harb. Ihre Meinung dazu ist eindeutig: „Man sollte immer direkt eingreifen. Egal welchen Glauben man hat oder wie man aussieht, wir sind alle Menschen.“