Westerstede - Es war ein schleichender Prozess. Langsam, aber stetig ging es bergab. Stress bei der Arbeit als Krankenpfleger und nebenbei als DJ, massives Drogenproblem, vergebliche Suche nach wirklichen Perspektiven. Und dann auch noch das: Plötzlich ein Messer im Bauch. Die Klinge verfehlt nur knapp das Herz. Akute Lebensgefahr. Not-OP. Auslöser eines schweren Traumas – und gleichzeitig der Wendepunkt im Leben von André Müller-Jekosch.
Den Job quittiert, von den Drogen weggekommen, das Trauma therapiert, hat der 42-Jährige heute einen anderen Blick aufs Leben. Und er hat Wege gefunden, diese Sichtweise und seine Erfahrungen weiterzugeben. Er ist freiberuflicher Supervisor, Coach, Vortragskünstler und einer der führenden Trainer im Umgang mit Hilflosigkeit und Ohnmacht in Deutschland.
Hoffnungsvoll und würdig
Um so viele Menschen wie möglich zu erreichen, hat Müller-Jekosch jetzt ein Bühnenprogramm entwickelt. Die Lebenslust-Tour 2017. „Es ist ein Unterhaltungsabend zwischen Kabarett und Vortrag, mit Humor, Ernsthaftigkeit und Musik, der die Dynamiken des Lebens zeigt und Klarheit, Zuversicht und viele neue Möglichkeiten schafft“, beschreibt er die Veranstaltung, die am Montag, 27. November, im Saal des Kreishauses in Westerstede zu erleben sein wird (siehe Info-Kasten). Kooperationspartner ist das Ammerlandhospiz in Westerstede.
Er will die Besucher mitnehmen auf eine „Achterbahn der Tabuthemen“, wie er selbst sagt. Beziehungsdynamik, Abhängigkeit, Stress, Hilflosigkeit, Tod und Abschied sind solche Themen, auf die Müller-Jekosch einen hoffnungsvollen und immer auch würdigen Blick werfen will. Und er möchte die Augen für die Schönheit des Lebens und des Alltags öffnet. Sein Credo: „Nehmt Euer Leben selbst in die Hand.“
„Bei aller Ernsthaftigkeit funktioniert das, was ich vermitteln will, mit Humor am besten“, sagt der 42-Jährige. Man könne zum Beispiel sehr wohl humorvoll aufs Sterben schauen („Man kann traurig sein, muss man aber nicht.“). Auch könne man mit Spaß den Menschen einfach den Spiegel vorhalten. „Das funktioniert gut“, sagt Müller-Jekosch. Es müsse aber kein Zuschauer befürchten, selbst den Spiegel vorgehalten zu bekommen. „Den halte ich mir schon selbst vor. Zum Beispiel was meine eigene Drogenvergangenheit betrifft. Und ich bin mir gegenüber ziemlich respektlos“, sagt er.
Dabei sei der Abend keinesfalls eine alberne Spinnerei, sondern stehe auf einer wissenschaftlichen Basis und biete ernsthafte Modelle. „Das ganze Wissen, wie man mit Problemen umgehen und Wege aus schwierigen Lebenssituationen finden kann, ist ja vorhanden. Und ich mache das Fenster zu diesem Wissen auf.“
Arbeit in der Psychiatrie
Die Veranstaltung im Kreissaal ist für André Müller-Jekosch fast ein Heimspiel. Gebürtig kommt er nämlich aus dem Nachbarlandkreis Cloppenburg. genauer aus Reekenfeld in der Gemeinde Barßel. Er machte am Albertus-Magnus-Gymnasium in Friesoythe 1994 Abitur. Nach seinem Zivildienst am damaligen Barßeler Krankenhaus absolvierte er im Krankenhaus Bremen-Ost eine Ausbildung zum Krankenpfleger. Danach wechselte er in die forensische Psychiatrie der Bremer Klinik und wurde dort 2001 Stationsleiter.
Fünf Jahre später wurde er in der Psychiatrie von einem gerade eingelieferten Straftäter mit einem Messer attackiert und lebensgefährlich verletzt. Erst einige Monate später machte er eine Traumatherapie und begann mit der Drogenabstinenz. „In dieser Phase war es schwierig, mein Leben zu sortieren“, sagt Müller-Jekosch. Aber er hatte es geschafft. Er kehrte zurück in seinen Beruf und ließ sich 2008 nebenberuflich zum Supervisor/Coach ausbilden. Später machte er sich selbstständig.
Eigene Methodik
Seine Schwerpunkte liegen darin, Menschen in beruflichen Grenzbereichen Hilfestellungen zu bieten, Menschen, die Gewalt und Tod erleben, Wege aufzuzeigen, damit umzugehen. Dazu hat er selbst eine Methodik entwickelt, den sogenannten Ohnmachtszirkel. Seine Klienten reichen von Einrichtungen der Kinderhospizarbeit bis hin zur Polizei. André Müller-Jekosch lebt mit seiner Frau und seinen beiden Kindern (vier und sechs Jahre alt) in Lilienthal bei Bremen.