Wilhelmshaven - Ein bisschen Goethe gefällig? Dieses Zitat mit den „zwei Seelen“ die (ach!) in einer Brust wohnen? Oder lieber die Gegenwartsvariante 212 Jahre später: Denn ein Dilemma von mindestens Faustschen Ausmaßen wohnt in der Brust von Florian Voelter. Der 33-Jährige ist WHV-Fan. Seit neun Jahren gehören dabei nicht nur die Heimspiele der Handballer zum Pflichtprogramm, sondern auch auswärts versucht der Wilhelmshavener zusammen mit Carsten Kupski (32), wann immer möglich, dabei zu sein. Der bisherige Höhepunkt: in der Zweitliga-Spielzeit 2015/2016 sah Voelter alle 40 Ligaspiele des damaligen Drittliga-Aufsteigers. 17 500 Kilometer quer durch Deutschland standen dabei am Ende auf dem „Tacho“. Aktuell aber hat der in Oldenburg tätige Bankkaufmann ein echtes Problem. Denn so minuziös wie die Urlaubsplanung beim Arbeitgeber im Vorfeld der neuen Saison ablief und so elegant wie Voelter, die Nummer 1 bei den Tischtennis-Spielern des WSSV in der 1. Bezirksklasse, als Team-Verantwortlicher den eigenen Spielplan um den des WHV herum strickte, so heimtückisch schlug Corona zu.
Denn weil es die aktuellen Hygienevorschriften dem TV Hüttenberg, erster Gastgeber für Handball-Zweitliga-Aufsteiger WHV, nicht ermöglichten, die Heimspiele in der eigenen Halle auszutragen, zog das Team aus Hessen in die Rittal-Arena nach Wetzlar um. Und verlegte das Spiel vom kommenden Samstag auf den Freitag. Übermorgen allerdings steht Florian Voelter mit seinem WSSV-Team in Jever an der Platte. Mehr als den Livestream der ersten Halbzeit auf dem Handy zu verfolgen, dürfte deshalb nicht drin sein. „Das nervt – keine Frage“, gibt der WSSV-Tischtennis-Frontmann zu. Denn Hüttenberg zählte wie auch die WHV-Partien in Gummersbach und Fürstenfeldbruck zu den Destinationen, die die beiden WHV-Fans auf jeden Fall besuchen wollten. Voelter: „Diese Hallen kennen wir noch nicht – und so viele davon gibt es angesichts von über den dicken Daumen geschätzten 70 Hallen, die wir schon besucht haben, ja nicht mehr.“
Bis zum Jahresende im Profisport keine Zuschauer – und jetzt?
Corona könnte dem reiselustigen Duo aber grundsätzlich noch einen Strich durch die Rechnung machen. Bis zum Jahresende sind im Profisport keine Auswärtsfans erlaubt. Für die WHV-Partie in Wetzlar – 800 Fans wären dort zugelassen – sind derzeit unabhängig davon online überhaupt keine Tickets erhältlich. „Wir arbeiten gerade daran, unsere 400 Dauerkarten-Inhaber auf neue Plätze umzubuchen. Ob wir überhaupt dazu kommen, die restlichen Tickets zu verkaufen, wissen wir nicht“, hieß es gestern aus der TVH-Geschäftsstelle. „Eine Abendkasse wird es definitiv nicht geben, denkbar wäre es auch, bei den personalisierten Karten einen Abgleich mit einem amtlichen Ausweis vorzunehmen. Aber im Augenblick gibt es einfach in ganz vielen Bereichen noch ganz viele Fragezeichen.“ Für Voelter und Kupski ist die Sache dagegen klar: „Wir werden uns da nirgendwo reinmogeln. Gesundheit und Sicherheit gehen vor. Aber alles, was möglich ist, werden wir wahrnehmen.“
In der Vergangenheit war das eine ganze Menge. Voelter: „Saarlouis oder 580 Kilometer zu einem 17 Uhr-Spiel nach Aue an einem Tag – teilweise war das schon auf Krampf. Oder diese grausame 29:38-Niederlage 2017 beim Vorletzten in Konstanz – da fragst du dich kurzzeitig schon, warum du dich in den Zug gesetzt hast.“ Doch das Positive überwiegt. Zum Beispiel in der abgebrochenen vergangenen Saison: Nach dem Derbysieg unter der Woche in Aurich im März – dem letzten Auswärtsspiel der Drittliga-Meisters WHV – ging es nach Berlin, wo sich die Wilhelmshavener erst das Fußballspiel der Bremer bei Hertha BSC anschauten und dann – wegen der guten Kontakte zu den Fans aus Flensburg – die Handball-Partie der Füchse gegen den Erstligisten.
„Ein bisschen bekloppt sind wir schon“
„Ein bisschen bekloppt sind wir schon. Und es ist sicherlich hilfreich, dass wir beide Singles sind“, muss Voelter zugeben. Zum Beispiel 2019: Da ging es Freitag Abend nach Neuss (Gladbach-Leipzig), dann nach Leichlingen, von dort mit der S-Bahn nach Leverkusen (Fußballspiel gegen Hoffenheim), dann wieder zurück zum WHV-Spiel in Leichlingen und anschließend nach Hannover, wo um 4 Uhr nachts der Flieger zum Urlaub in Bulgarien abhob. Das WHV-Fanduo fand 2008 zusammen, als Carsten Kupski mit Freunden Voelters bei Blau-Gelb Fußball spielte. Schnell war klar, dass WHV-Fan Voelter, der seit zwei Jahren den Livestream der WHV-Heimspiele bei Sportdeutschland kommentiert und Ex-WHV-Betreuer Carsten Kupski, im Schichtdienst als Bahn-Disponent in Bremen tätig, ihre Liebe zum Handball nicht auf Besuche in der Nordfrost-Arena beschränken wollen. Umso größer war der Schock, dass nicht nur Corona sondern auch die finanzielle Schieflage des Zweitligisten nach der Verhaftung des Hauptsponsors die Zweitliga-Saison aus heimischer Sicht ins Wanken bringen könnte. „Ich habe davon im Urlaub auf Rhodos erfahren. Und jetzt kann ich wie alle anderen WHV-Fans nur die Daumen drücken, dass genug Geld zusammenkommt, damit es hier weitergeht. Denn Handball ist einfach ein fantastischer Sport – und die Spieler sind alles unglaublich nette Typen.“