Oldenburg Bald ist der deutsche Steinkohlenbergbau endgültig Geschichte, nur noch zu besichtigen im Bergbaumuseum Bochum. Denn bis Ende dieses Jahres wird die letzte aktive Zeche im Ruhrgebiet, Anthrazit in Ibbenbüren, die Förderung einstellen.
Immerhin mehr als 150 Jahre hat der industrielle Abbau der Kohle das Ruhrgebiet geprägt. Nach dem Zweiten Weltkrieg auf dem Höhepunkt der Produktion, waren noch mehr als eine halbe Million Menschen in den Zechen beschäftigt. Der Steinkohlenbergbau galt als eine Schlüsselindustrie für das deutsche Wirtschaftswunder, die mehr Arbeitsplätze bereitstellte als heute die deutsche Chemieindustrie. Nach dem Krieg hat die Kohle uns in der jungen Bundesrepublik Deutschland – um es einmal im ungeschminkten Ruhrgebietsdeutsch zu sagen – „den Arsch gerettet“.
Klare Kante, Auskunft über einen robusten Realismus. Die Malocher-Haltung hat das Ruhrgebiet immer geprägt. Die Kohle hat Wohlstand gebracht, und sie hat Identität und Selbstverständnis geprägt. Harte Arbeiter, permanente Zuwanderung und Stolz auf die unverzichtbare Arbeit schufen eine eigene Kultur und eine eigene Begriffswelt wie „Motteck“ (dicker Hammer) oder „schlagende Wetter“ (explosionsgefährliches Gasgemisch unter Tage), Und „vor Ort“ war da, wo die Kohle bei mehr als 30 Grad Celsius abgebaut wurde.
Die Steinkohle war nicht nur Heizmaterial, mit der man auch noch Stahl produziert konnte. Aus den Abfällen der Steinkohle entwickelten Chemiker noch vieles mehr: das Gas für die Straßenbeleuchtung in den Städten, die modernen synthetischen Farben, pharmazeutische Erfindungen bis hin zum Aspirin, die ersten Kunststoffe wie Bakelit, die Perlonstrumpfhose und Margarine. Lang, lang ist es her.
Die Haltung der Menschen im Ruhrgebiet ist geblieben, aber die Zeiten haben sich kolossal geändert.
So wurde die deutsche Steinkohle zum größten Subventionsempfänger des Landes. Aber man muss auch sagen, dass in den deutschen Steinkohlebergbau sehr viel in die Sicherheit für die Kumpel investiert wurde. Das war in anderen Ländern wie Polen, China oder Russland nicht der Fall. Im Gegenteil.
Und jetzt?
Es wird viel Nostalgie, Wehmut und Verklärung mitwehen, wenn der Deckel auf dem letzten Schacht ist. Aber: Respekt vor Tradition und Geschichte und aller Vorbildlichkeit, die dieser Schmelztiegel in Sachen Integration zugewanderter Arbeitskräfte bewiesen hat. Ich bin in den 70er Jahren mit Italienern und Türken zur Schule gegangen, wir haben zusammen im Fußball-Verein gespielt und uns für dieselben Mädchen interessiert.
Rund 50 Millionen Tonnen Kohle liegen noch unter der Erde. Und da werden sie auch bleiben. Die Tage des Kohlebergbaus sind in Deutschland gezählt.
Wohl niemals zuvor ist eine Branche mit so viel Pomp zu Grabe getragen worden. Andere Wirtschaftszweige, man denke an den Niedergang der einst etliche tausend Arbeiterinnen beschäftigenden Textilindustrie, erlitten ein stilles Ende. Aber auch kaum eine Branche war wohl so identitätsstiftend wie der Steinkohlenbergbau im Ruhrgebiet.
Auch nach der Zeit des Steinkohlebergbaus werden die sogenannten Ewigkeitslasten weiter hohen Kosten verursachen. Dazu gehört etwa das Abpumpen des Wassers aus den Stollen und Schächten, die den Boden durchlöchern wie der berühmte Schweizer Käse. Das soll aus den Erträgen der Ruhrkohle-AG-Stiftung bezahlt werden, die dafür bisher 4,7 Milliarden Euro angesammelt hat.
Aber ich glaube auch: Erst wenn der Bergbau Geschichte ist, kann sich das Ruhrgebiet endgültig emanzipieren und mit den Pfunden wuchern, die es nun hat.
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Und so ehrlich müssen wir auch sein: Die Diskussion über den Klimaschutz konzentriert sich heute fast immer auf den Ausstieg aus der Kohleindustrie. Daher ist die Abschaltung von Kohlekraftwerken und ihren rauchenden Schloten politisch symbolträchtig. Das hilft ungemein, ein politisches Jahrhundertthema populär zu illustrieren. Jedoch beschränkt sich die Reduzierung von Kohlendioxid-Emissionen keineswegs auf diese Industrie. Auch die Bereiche Verkehr, Landwirtschaft, Abfallwirtschaft, Abwasser und Gebäude hat die Bundesregierung ehrgeizige Ziele vereinbart – wenn auch ihre Einhaltung unrealistischer denn je ist.
Deshalb sage ich: Danke, Kumpel. Und natürlich Glückauf.