Sakhir In der Corona-Krise erkundet die Formel 1 die Heimarbeit. Die Motorsport-Königsklasse testet in Pandemie-Zeiten intensiver denn je die Grenzen der physischen Anwesenheit ihrer Spitzenangestellten aus. Der geplante XXL-Rekordkalender mit 23 Rennen im kommenden Jahr drängt Mercedes, Ferrari & Co. zu kreativen Lösungen. Zuletzt in der Türkei fehlte Sebastian Vettels Scuderia-Teamchef Mattia Binotto erstmals.
Es war ein Versuchsballon, um die Steuerung des Rennstalls aus der Ferne zu erproben. Prompt fuhren Vettel und Charles Leclerc für die Scuderia mit Rang drei und vier die meisten Punkte der Saison ein. Vielleicht sollte man ihn wieder zuhause lassen, meinte Vettel augenzwinkernd über Binotto. In die Teamchef-Pressekonferenz am Freitag in Sakhir vor dem Großen Preis von Bahrain an diesem Sonntag (15.10 Uhr/RTL) ließ sich der Manager nur per Video zuschalten.
„Was mich betrifft, muss man die Balance finden zwischen den Aufgaben an der Strecke und in der Fabrik“, erläuterte Binotto, der nach einem Horror-Jahr für Ferrari die erfolgreiche Entwicklung des neuen Wagens vorantreiben muss. „Wenn man für ein ganzes Team verantwortlich ist, ist das Rennen natürlich wichtig, die gesamte Leitung eines Rennstalls ist jedoch ebenso wichtig.“
Als auf den ersten Blick „merkwürdig“ beschrieb Ferrari-Sportdirektor Laurent Mekies das körperliche Fehlen seines Bosses in Istanbul. Die in Corona-Zeiten boomende Video-Kommunikation holt aber Bild und Ton an alle Rennstrecken dieser Welt.
Binotto oder Mercedes-Teamchef Toto Wolff haben schon angekündigt, nächste Saison den einen oder anderen Grand Prix auslassen zu wollen. Rotation soll für das Personal, das wie auch die gesamte PS-Branche dankbar für die Ausübung ihrer Tätigkeit in Corona-Notzeiten ist, zum Zauberwort werden.
Das Problem ist nicht nur die hohe Zahl der Rennen, sondern die Frequenz mit Dauerstress: Ein Dreierpack nun mit zwei Events in Bahrain und schließlich dem Finale in Abu Dhabi bedeutet eine hohe Belastung fern der Familie daheim. So etwas würde „die Energie aus dem Team saugen“, warnte Williams-Ingenieur Dave Robson.
Personalstärke ist aber immer auch eine Geldfrage. Und wie gehen die Fahrer mit dem Thema um? „Am Ende werden die Mechaniker ein bisschen leiden, wohingegen die großen Bosse in der Formel 1 später anreisen und früher wieder abreisen“, meinte Red-Bull-Pilot Max Verstappen.
Auch für den Superstar der Branche, Lewis Hamilton, gewinnt das Thema abseits des Asphalts an Bedeutung. In der Debatte um seine Vertragsverlängerung bei Mercedes kündigte der Brite an, künftig mehr von zuhause aus arbeiten zu wollen. „Ich brauche mehr Zeit. Dieses Jahr hat gezeigt, dass man von zuhause aus arbeiten kann“, erklärte er. Hamilton sei sich sicher, „dass da eine Menge mehr Zoom-Dates im Vertrag stehen werden als derzeit“.