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Überbleibsel Des Kalten Krieges Atombunker in Bassum soll zum Museum werden

Bassum/Oldenburger Land - Ein einminütiger Sirenenton, auf- und abschwellend, bedeutet: Luftalarm, Gefahr von Fernwaffenbeschuss.

Ein zweiter einminütiger Sirenenton, auf- und abschwellend, zweimal unterbrochen, bedeutet: ABC-Alarm, Gefahr von radioaktivem Niederschlag.

Die Broschüre „Jeder hat eine Chance“, herausgegeben 1961 vom Bundesinnenministerium und verteilt an alle Haushalte, rät zum „Verhalten bei Überraschungsangriffen mit Atomwaffen“: „Flach auf den Boden werfen, möglichst längsseits einer starken Wand! Von der Lichterscheinung abwenden und Augen schließen! Gesicht, Nacken und Hände schützen!“ Eine Zeichnung zeigt einen Mann, der vorbildlich auf dem Boden liegt, auf dem Kopf seine Aktentasche.

Der vergessene Krieg

Ein Knopfdruck, keuchend setzt sich die 55 Jahre alte Stahltür in Bewegung. Mirko Krumm, 26 Jahre alt, tritt in die Schleuse, schließt die Stahltür, öffnet eine zweite Stahltür, geht weiter in eine Duschkabine, „Dekontamination“ steht auf einem Schild. „Hier würde jetzt der Arzt mit dem Geigerzähler stehen“, sagt Krumm. Aber da steht natürlich niemand, der Kalte Krieg ist Geschichte, nur ein paar Überbleibsel erinnern an ihn: eine Broschüre mit Tipps zum „Verhalten bei Überraschungsangriffen mit Atomwaffen“, ein Atombunker, vier Stockwerke tief in der Erde.

Als Mirko Krumm geboren wurde, war die Berliner Mauer bereits gefallen. Er wuchs auf in Zeiten der Ost-Erweiterung von Nato und EU; Wettrüsten, nuklearer Overkill und Gleichgewicht des Schreckens waren für ihn Fremdworte, nicht einmal im Leistungskurs Geschichte auf dem Gymnasium kamen sie vor. „Es ist, als ob die Welt das vergessen soll“, sagt Krumm. Er geht tiefer in die Erde hinein, Phosphorpfeile weisen den Weg über Stahlstiegen und Betonflure.

Ein Urlaub in Griechenland, Mirko Krumm stand vor einem verfallenen Heilbad, zugewuchert. Ein vergessener Ort, „Lost Place“ sagen Geschichtsfans dazu. Krumm ging hinein, fand es „super faszinierend“. Zurück in Deutschland fragte er sich: Wo gibt es hier Lost Places? Schnell fand er Relikte aus dem Zweiten Weltkrieg, Bunker, aufgegebene Militäranlagen. Und dann hörte er von diesem gewaltigen Schutzraum in Bassum, Landkreis Diepholz, ein „Warnamt“ aus dem Kalten Krieg. Zehn Warnämter gab es einst in Westdeutschland; sie waren für die Warnung der Bevölkerung zuständig: Erstes Gesetz über Maßnahmen zum Schutz der Zivilbevölkerung, Paragraf 7.

Das Warnamt II, 1996 aufgelöst, gehört heute der privaten Prinzhöfte-Schule. Die Schule hatte die Anlage 2001 von der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben gekauft, sie wollte die oberirdischen Verwaltungsgebäude als Unterrichtsräume nutzen. Den unterirdischen Bunker bekam sie dazu.

Ob er sich den Bunker mal anschauen dürfe, fragte Krumm bei der Schule an. Er durfte.

14 000 Kubikmeter Beton. Drei Meter dicke Wände. Bodenplatten auf Stahlfedern, die die Erschütterungen einer Atombombenexplosion abmildern sollen. 10 000 Quadratmeter Nutzfläche, darauf die Notausstattung für 30 Tage Überleben nach dem Atomkrieg: dreistöckige Pritschen, Zivilschutzmasken 65Z, ein Bunkerkiosk mit schreibmaschinengetippter Preisliste, Cola 70 Pfennig, Schokolade eine Mark. Krumm war begeistert: „Daraus muss sich doch was machen lassen“, sagte er. Der Schulvorstand nickte: Dann machen Sie mal.

Ein Aufruf bei Facebook, eine Gründungsversammlung. 18 Leute kamen, „Lost Places“-Fans, die meisten aus Oldenburg, andere aus Goldenstedt, Wildeshausen, Twistringen. Mirko Krumm aus Hude ist jetzt 1. Vorsitzender des Vereins „Warnamt II“.

Wenn eine Atombombe explodiert, ist da zuerst ein Lichtblitz, heller als die Sonne, und dann ein Feuerball, heißer als die Sonne. Eine Hitzewelle rast los, schnell wie das Licht, gefolgt von einer Druckwelle, schnell wie der Schall. Tödliche radioaktive Strahlung breitet sich aus.

Jeder hat eine Chance? „Schutzraum, Keller oder Deckung aufsuchen!“, so lautet in der Broschüre von 1961 der wichtigste Ratschlag zum Verhalten bei Luftalarm.

2000 öffentliche Schutzräume gab es in Westdeutschland, 280 in Niedersachsen. 205 davon standen im Raum Weser-Ems. Zu den öffentlichen Räumen kamen bundesweit gut 9000 private Schutzräume, gefördert mit umgerechnet 55 Millionen Euro.

196 Mann Besatzung

Aber auch mit Schutzraum hatte nur eine Chance, wer rechtzeitig gewarnt wurde. Die Warnämter standen in Verbindung mit Landes- und Bezirksregierungen, Messstellen, Rundfunk, rund 80 000 Sirenen waren angeschlossen. 20 Mann Dauerbesatzung gab es im Warnamt, aufstockbar auf 196 überwiegend freiwillige Helfer im Alarmfall: Stahltür auf, Stahltür zu.

„Unglaublich, mit welcher Sachlichkeit man sich auf das Ende der Welt vorbereitete“, sagt Mirko Krumm.

Stockwerk -2, -3, - 4, Mirko Krumm steigt immer tiefer in die Erde hinab. Da stehen fünf Sandfilter, sie reinigen die Luft, 90 Prozent der radioaktiven Partikel sollen im Kies hängenbleiben, ebenso die Hitze der Atombombenexplosion. Für Notluft gibt es drei Handkurbeln; Schichtwechsel alle fünf Minuten, weil die Kurbler sonst mehr Sauerstoff verbrauchen als erzeugen. Eine Vorratskammer, 2000 EPas für die Verpflegung lagerten hier, Einmannpackungen der Bundeswehr. Dieselgeneratoren, Klimaanlage, Tanks für 277 000 Liter Frischwasser. Fünf Duschen gibt es es für 196 Leute, die Dekontaminationsdusche mitgezählt. Im Regal stehen noch Trinkflaschen in zivilgrau.

„ABC-Auswertung“ steht an einer Tür, an der Wand hängen Landkarten und Abreißblätter. Wann ist die Bombe explodiert? Luft-Detonation? Boden? War es eine fremde Bombe oder eine eigene? Noch mehr Abreißblätter, die aktuelle Windlage. Wo wird der radioaktive Fallout runterkommen? Wen müssen wir warnen? Erster Sirenenton, zweiter Sirenenton.

Der „Einsatzraum“, zweistöckig: noch mehr Karten, rote Warnlampen. Fernschreiber und Lochstreifen, täglich schickten die Fernmelder die Testnachricht los: „Kaufen Sie jede Woche vier gute und bequeme Pelze xy“. Der Satz enthält alle Buchstaben des Alphabets.

1989 fiel die Berliner Mauer. Mitte der 90er-Jahre liefen die letzten Schutzraumbauprogramme aus, der Bund löste die Warnämter auf. Seit 2007 wurden auch die bestehenden Schutzräume nach und nach entwidmet. Heute gibt es „keinen direkt einsatzfähigen öffentlichen Schutzraum mehr“, teilt das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe mit, Nachfolger des Bundesamtes für Zivilschutz. Es gibt nur noch: „Lost Places“.

72 Stunden Alarmzustand

„Wo sind die anderen?“, fragt Mirko Krumm. „In der Fritzbox“, antwortet Stephan Siebrecht, 37 Jahre alt, er kommt aus Wüsting (dort gab es zwei Sirenen). Die Fritzbox: So nennen die „Lost Places“-Fans den Raum mit der Fernmeldetechnik.

In der Fritzbox schrauben Sebastian Schröder, 33, der Elektriker, und Finn Lenz, 23, der Computerfachmann, an den Leitungen. Krumm selbst ist Rettungssanitäter und Fachinformatiker, er sagt: „Einen Klempner könnten wir noch gebrauchen.“ Mehr als 500 Arbeitsstunden haben die Vereinsmitglieder bereits in den Bunker gesteckt. Sie wollen ein Kalter-Krieg-Museum schaffen, das „den Wahnsinn“ sichtbar macht, so Krumm. Stephan Siebrecht sagt: „Man muss das den Leuten so richtig vor den Kopf knallen!“

„Wir wollen hier einen kompletten Atomkrieg ... ja was eigentlich?“, fragt Mirko Krumm: „simulieren können? Das klingt doof.“ „,Spielen‘ klingt auch blöd“, findet Stephan Siebrecht. Das passende Wort fehlt noch, fest steht aber: Im Museum soll es nicht nur Führungen geben, Besucher sollen sich im Alarmzustand einschließen lassen können. Erster Sirenenton, zweiter Sirenenton, Stahltüren zu, ein Wochenende lang.

Und diesmal hat wirklich jeder eine Chance: Wenn sich die Türen nach 72 Stunden wieder öffnen, wird die Welt noch da sein.

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