Wildeshausen Die Kinder sitzen mit erwartungsfrohen Gesichtern auf ihren Stühlen und verfolgen gebannt, was Janina Schroeter mit den Puppen vorführt: Heute erzählt sie eine Geschichte zur Ernte.
„In diesem Monat hängt alles mit der Ernte zusammen“, sagt Petra Janßen, die Leiterin des Wildeshauser Waldorfkindergartens „Zwergenland“. Dies gehört zum typischen Jahreszyklus, der einem der zwei wichtigsten Prinzipien der Waldorfpädagogik folgt: „Rhythmus und Wiederholung“.
„Viele meinen, Waldorf wäre antiautoritär, aber das stimmt nicht. Wir haben klare Regeln“, betont Janßen. Der strukturierte Ablauf gehöre dazu. Jeder Tag sei klar gegliedert, jede Woche wiederhole sich das Programm, zum Beispiel gebe es jeden Montag Milchreis. „So lernt ein Kind, sich in der Woche zurechtzufinden.“
Klare Struktur wichtig
Außerdem habe jeder Monat einen Höhepunkt, auf den Kinder und Erzieher hinarbeiteten: das Erntefest, das Martinsfest oder auch christliche Feiertage. „Wir sind ein christlicher Kindergarten ohne konfessionelle Bindung“, erklärt Janßen. In der Zeit davor sei alles – Lieder, Spiele, Geschichten – auf das Thema abgestimmt.
„Vorbild und Nachahmung“ bilden das zweite wichtige Prinzip für die Erzieherinnen im Waldorfkindergarten, sagt die Kita-Leiterin. „Erwachsene sollten nichts tun, was das Kind nicht nachahmen darf.“ Um den Kindern möglichst viel Lebenspraxis zu vermitteln, kochen die Erzieherinnen selbst, führen kleine Reparaturen aus, dreschen Getreide – und das mit den Kindern gemeinsam. „Wenn ich etwas mit Freude mache, dann geht das auf die Kinder über“, sagt Janßen. Es sei einfach schön, wenn die Kinder von sich aus wollen.
Das ganzheitliche Konzept wirke sich in sämtlichen Bereichen aus, bis in die Architektur: Im Gebäude findet sich kaum ein rechteckiger Raum, vieles ist verwinkelt. „So wirkt es lebendiger, gefälliger“, sagt Petra Janßen.
Das von viel Grün umgebene Gebäude strahlt schon von außen eine gewisse Gemütlichkeit aus, die sich im Inneren fortsetzt. Die ruhigen, warmen Farben und das viele Holz verleihen den Räumen eine Wohlfühlatmosphäre.
Auch die vielen natürlichen Elemente und das naturbelassene Spielzeug passen in dieses Bild. „Die Kinder sollen die Möglichkeit haben, sich das vorzustellen, was sie wollen“, erklärt Janßen das Prinzip. So könne zum Beispiel ein Holzklotz ein Bügeleisen sein oder ein Handy. Im freien Spiel entwickelten die Kinder ihre Sozialkompetenz.
Eltern kriegen viel mit
Die älteren Kinder werden in ihrem letzten Kindergartenjahr extra in Motorik und Konzentration gefördert und mehr einbezogen, um sie auf die Schule vorzubereiten. Wenn sie zum Beispiel das Geschirr verteilen dürfen, „sind sie immer ganz stolz“, schmunzelt Janßen.
Auch die Eltern haben großen Anteil am Geschehen. Ende der 80er-Jahre entstand das „Zwergenland“ in Wildeshausen, wie die meisten Waldorfkindergärten, aus einer Elterninitiative. Die Elternrolle setzt sich im Alltag fort: durch regelmäßige Elternabende, Basare, Gartentage. „Sie werden viel einbezogen, das macht es familiärer“, freut sich Janßen.
Dem vermutlich weit verbreitetsten Vorurteil über Waldorf widerspricht sie: Die Kinder tanzen nicht ihren Namen. Jeden Dienstag komme zwar eine Eurythmistin, die mit den Kindern Bewegungskunst praktiziere. „Dabei wird Sprache und Bewegung kombiniert“, sagt Janßen. Aber buchstabiert werde nicht.