Oldenburg Etwa 2,2 Kilometer misst die Strecke von der Landesbibliothek über die Peterstraße, durch die Fußgängerzone bis hinein ins Gerichtsviertel zum alten Gefangenenhaus. 2,2 Kilometer, die sich an einem Samstagnachmittag im Jahr 2018 ganz entspannt zu Fuß zurücklegen lassen. 2,2 Kilometer, die jedoch vor genau 80 Jahren für 44 Oldenburger Juden den Marsch in Richtung Qual und Tod bedeuteten.
Mit dem Erinnerungsgang über diese Route wurde am Samstag den Opfern des Nationalsozialismus in Oldenburg gedacht. Der Schweigemarsch startete um 15 Uhr an der Landesbibliothek und beinhaltete die Niederlegung eines Kranzes am Denkmal an der Peterstraße an der Stelle, an der die Synagoge stand.
Die Reichspogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 steht für den Beginn der offenen Judenvernichtung in Deutschland. Auch in Oldenburg wurden in dieser Nacht jüdische Geschäfte zerstört und die Synagoge an der Peterstraße in Brand gesetzt. Sogenannte Aufholtrupps der SA verhafteten die jüdischen Mitbürger der Stadt und sperrten diese über Nacht in der ehemaligen Polizeikaserne (der heutigen Landesbibliothek) ein. Am Morgen des 10. November wurden 44 Männer in einem von NS-Regime inszenierten Marsch der Schande in aller Öffentlichkeit durch die Innenstadt zum Gefängnis getrieben, von wo aus sie tags darauf ins Konzentrationslager nach Sachsenhausen deportiert wurden. Viele der Gefangenen, die nicht über die Möglichkeiten verfügten, sich noch rechtzeitig ins Ausland abzusetzen, überlebten ihren Aufenthalt nicht.
Etwa 2000 Menschen nahmen in diesem Jahr an der Veranstaltung, die seit 1981 jährlich vom Arbeitskreis Erinnerungsgang organisiert wird, teil. Unterstützung erhält der Arbeitskreis dabei jedes Jahr von einer Oldenburger Schule. In diesem Jahr zeigten sich die Schüler des 12. Jahrgangs der Liebfrauenschule für die inhaltliche Gestaltung von Erinnerungsgang und Begleitprogramm verantwortlich. „Die Schüler haben seit Beginn des Schuljahres sehr engagiert daran gearbeitet“, sagt Yvonne Ahlers, die als Schulseelsorgerin an der Liebfrauenschule tätig ist und das Projekt gemeinsam mit Religionslehrerin Astrid Reichert-Pahlke begleitet hat. „Für die Jugendlichen handelt es sich dabei nicht nur um längst vergangene Geschichte. Es ist ihnen wichtig, sich zu positionieren und Verantwortung für die Zukunft zu übernehmen.“ So stand der von den Schülern gestaltete Gottesdienst zu Beginn des Erinnerungsgangs auch unter dem Motto „Dem Vergessen entgegentreten“. Für Fredo Behrens, Sprecher des Arbeitskreises Erinnerungsgang, ist die Zusammenarbeit mit den Schülern ein wertvoller Teil der Erinnerungsarbeit: „Junge Menschen, die erst im neuen Jahrtausend geboren wurden, können sich viel unbefangener mit dem Thema auseinandersetzen, als frühere Generationen.“
Oberbürgermeister Jürgen Krogmann zeigte sich in seiner Begrüßungsrede erfreut über die große Teilnehmerzahl. Auch er betonte die Bedeutung des Erinnerungsgangs, der in seinen Augen nicht zu einer Traditionsveranstaltung verkommen darf, sondern in der Gegenwart ein Zeichen gegen Diskriminierung und Ausgrenzung setzen soll. Im kommenden Jahr übernimmt die Oberschule Ofenerdiek die Federführung.
Zum Rahmenprogramm rund um den Erinnerungsgang gehören auch Lesungen und Konzerte zum Thema, die noch bis zum 15. November besucht werden können.
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