Ostfriesland - Es macht mich als Schriftsteller glücklich, mein Publikum zu sehen. Ich will ihr Lachen hören, spüren, wie sie sich in andere Figuren verwandeln und die Welt mit anderen Augen wahrnehmen.
In den besten Momenten passiert bei einer Lesung genau das.
Ich misstraue Autoren, die uns erzählen, wie die Welt ist.
Welche Anmaßung!
Wir leben doch alle selbst in der Welt und kennen sie. Literatur ist dazu da, uns die Welt aus einer anderen Perspektive zu zeigen. Ich kann als Mann plötzlich die Welt mit den Augen einer Frau sehen. Welche Bereicherung!
Ich darf als Leser Opfer sein, Täter oder Zeuge. Vielleicht sind Roman- Leserinnen und -Leser deshalb meist so gelassene, verständnisvolle, ja weltoffene Menschen. Sie kennen mehr als eine Perspektive.
Die Verwandlung geschieht beim Lesen, meist in Stille … Bei Zugfahrten oder zu Hause im Wohnzimmer werden aus ruhigen Lesern Abenteurer. Wenn ich dabei sein will, muss ich ihnen aus meinen Büchern vorlesen.
Deshalb nehme ich gern anstrengende Reisen auf mich. Jeden Tag ein anderes Hotel. Nicht immer mit den besten Matratzen und auch ruhig ist es wahrlich nicht überall.
So manches Kapitel in meinen Büchern verdanke ich einer schlaflosen Nacht in einem hellhörigen Hotelzimmer, neben dem Fahrstuhl oder mit einer feiernden Gruppen nebenan.
Ich sitze dann im Bett und schreibe.
Ich habe stets ostfriesisches Leitungswasser dabei, um mir Tee kochen zu können und ein Marzipanseehund als Nervennahrung darf auch nicht fehlen.
Gerade komme ich von einer Tournee durch Bibliotheken zurück.
Es freut mich besonders, dass so viele Paare meine Veranstaltungen besuchen. Sie sitzen in allen Altersgruppen, oft händchenhaltend, im Publikum. Literatur scheint etwas Verbindendes zu haben, das manchmal auch Paare zusammenhält.
Ich kenne es von meinen Künstlerkollegen, dass sie meist für ein sehr spezielles Publikum schreiben. Sehr klar eingegrenzte Altersgruppen. Sportinteressierte. Theaterliebhaber. Die Wortverliebten. Die Horrorsüchtigen oder die Cosy-Crime-Fans, die Krimis zum Wohlfühlen lieben.
Ich staune und habe meinen Spaß, wenn ich erlebe, dass meine Romane generationsübergreifend gelesen werden. Da sitzen oft drei Generationen vor mir: Opa, Mama, Tochter und Schwiegersohn.
Alle haben eins gemeinsam: die Liebe zum Meer, zu Ostfriesland. Selbst wenn sie noch nie da waren, träumen sie sich in den Büchern dorthin. Oft werde ich gefragt, ob es das Café ten Cate wirklich gibt und diese einsame Stelle am Deich.
Ein Ort, eine Gegend, wird ihnen beim Lesen vertraut. Für die einen werden Erinnerungen wach. In den anderen eine Sehnsucht geweckt.