Berlin - Kollegen sind heute oft nicht mehr nur Kollegen, sondern Kolleg*innen. Wähler werden zu Wähler*innen. Während das „Gendersternchen“ manchen ein Dorn im Auge ist, halten andere es für die korrekte Form, Männer und Frauen sprachlich gleichzubehandeln und auch Geschlechter jenseits von Mann und Frau sichtbar zu machen. Sprachwissenschaftler und Germanisten haben das Gendersternchen am Dienstag in Berlin zum „Anglizismus des Jahres“ gekürt.
Es habe sich sprunghaft verbreitetet, begründet die Jury um den Sprachwissenschaftler Anatol Stefanowitsch von der Freien Universität Berlin. Das Sternchen habe zudem eine zentrale Bedeutung in der öffentlichen Auseinandersetzung mit dem schwierigen und heftig umstrittenen Thema der sprachlichen Gleichbehandlung aller Geschlechter.
Obwohl derzeit weit verbreitet, ist die Bezeichnung in großen deutschen Wörterbüchern noch nicht zu finden. Doch das kann sich schnell ändern. „Wenn es häufig genutzt wird, wird das Wort sicher auch bald in unserem Wörterbuch zu finden sein“, sagt der Sprachwissenschaftler Wolfgang Klein.
Der Berliner Professor hat sich wohl eines der ehrgeizigsten Projekte der Sprachwissenschaft vorgenommen: Mit Kollegen der Wissenschaftsakademien in Berlin, Göttingen, Mainz, Leipzig sowie dem Institut für Deutsche Sprache in Mannheim soll der deutsche Wortschatz im größten digitalen Wörterbuch erfasst werden.
„Zentrum für digitale Lexikographie der deutschen Sprache“ (ZDL) heißt das Projekt, das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung zunächst für fünf Jahre mit elf Millionen Euro und je nach Erfolg drei weitere Jahre gefördert wird.
Schüler, Studenten, Lehrer, Übersetzer, Journalisten, Deutschlerner in aller Welt – sie alle sollen künftig von dem kostenlosen Online-Lexikon profitieren, das auf aktuelle Sprachentwicklungen flexibel reagieren kann, anders als gedruckte Wörterbücher. Die haben laut Klein nur noch einen praktischen Vorteil, der digital nicht auszugleichen sei: „Man kann sie unter einen wackeligen Tisch legen“.
In der Duden-Redaktion sieht man das etwas anders: „Es wird weiterhin Wörterbücher der deutschen Sprache auf Papier geben“, sagt Leiterin Kathrin Kunkel-Razum. Nicht mehr rentabel sei allerdings das „Große Wörterbuch der deutschen Sprache“ in Papierform. Die aktuelle Auflage sei 2011 nur noch in digitaler Form erschienen. Gleichzeitig sei auch das Nachschlagen im Onlinewörterbuch die Zukunft. Der Verlag arbeite daher parallel kontinuierlich am Online-Duden.
Wie groß der deutsche Wortschatz genau ist, weiß niemand. Sicher ist laut Klein nur, dass derzeit mehr als fünf Millionen verschiedene Wörter tatsächlich genutzt werden. Selbst beim größten deutschen Wörterbuch der Brüder Grimm gibt es nur eine Schätzung zur Stichwortzahl: 350 000. „Die deutsche Sprache ändert sich fortlaufend, der Wortschatz wächst ständig. Allein im 20. Jahrhundert hat er sich um 30 Prozent vermehrt.“
„Es gibt immer mehr Ideen und Dinge, die es früher nicht gab, andererseits werden auch Wörter von vor 100 Jahren kaum noch genutzt wie etwa ,Droschken‘ und ,abzwecken‘“, erläutert er. Derzeit sorgten vor allem Internet und Smartphone für immer neue Begriffe. Und diese seien nicht immer schlecht. „Das Wort ,liken‘ mag ich sehr. Es ist eine echte Bereicherung“, sagt er. Es beschreibe im Deutschen eine ganz spezielle Handlung und sei sogar präziser als im Englischen, wo es nur „etwas mögen“ bedeute.
Dem jetzt ausgezeichneten Anglizismus „Gendersternchen“ würde Klein nur die Note „6 plus“ verleihen. „Ich finde es hässlich, wenn man deutsche und englische Wörter kombiniert, und die Verwendung des Sternchens verstößt gegen jede grammatikalische Regel. Aber das ist vielleicht mehr eine Frage der Sache als des Wortes“, so Klein.