In Deutschland wird über Denkmäler für Bismarck, Kant und andere historische Persönlichkeiten diskutiert. Läuft die Debatte aus dem Ruder?

WolffsohnJeder und alles in der Geschichte kann und muss immer wieder neu bedacht und bewertet werden. Wenn Gott angezweifelt wird, warum nicht erst recht jeder vermeintlich oder tatsächlich bedeutende und moralische Mensch? Zur Freiheit gehört außerdem auch Narrenfreiheit und Wichtigtuerei. Ich plädiere für Sachlichkeit und Gelassenheit.

Ob Columbus oder Churchill – keine historische Figur scheint mehr vor den Denkmalstürmern sicher zu sein. Hier geht es nicht mehr nur um Black Lives Matter, oder?

WolffsohnStimmt, aber es spricht nichts dagegen, ständig tatsächliche oder vermeintliche Autoritäten infrage zu stellen. Das gehört zur Demokratie.

Wird hier jetzt nicht Geschichte geschleift, an die man weiter erinnern sollte?

WolffsohnDas schon, aber darum geht es nicht. Jedes Denkmal und Symbol in einem Staat ist sozusagen die moralische Visitenkarte des Staates. Ein demokratischer Staat hat den Willen des Souveräns, des Herrschers, auszuführen. Das ist das Volk, genauer: dessen Mehrheit. Daher ist es notwendig, dass die gewählten und nicht sich selbst ermächtigenden Repräsentanten des Volkes über Errichtung und Fortbestand von Denkmalen entscheiden.

In Berlin wird der U-Bahnhof Mohrenstraße zu U-Bahnhof Glinkastraße. Der russische Komponist Glinka gilt als Antisemit. Kommt man jetzt vom Regen in die Traufe?

WolffsohnJa, wenn man ahnungslos ist und das eigene Denken an der Garderobe abgibt, um mit dem Strom zu schwimmen. Gerade dieses Beispiel zeigt: Meinung ist nicht Wissen. Die Annahme, dass weiße Rassisten durch die Benennung einer Straße, also durch eine außergewöhnliche Ehrung, ausgerechnet von ihnen verachtete oder verhasste Menschen auszeichnen wollten, ist närrisch. Jeder blamiert sich so gut er kann.