Hildesheim Ein früherer SS-Mann soll wegen des Vorwurfs der Volksverhetzung und der Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener vor Gericht. Es gehe um Aussagen, die in einem Interview des 96-Jährigen beim ARD-Politikmagazin „Panorama“ gefallen seien, teilte die Staatsanwaltschaft Hildesheim am Mittwoch zu der Anklage mit. In der im vergangenen November ausgestrahlten Sendung hatte der Mann sich zum Massaker der SS im damaligen nordfranzösischen Dorf Ascq (heute ein Stadtteil von Villeneuve d’Ascq) in der Nacht zum 2. April 1944 geäußert. Damals, wenige Tage vor Ostern, wurden 86 Zivilisten von Waffen-SS-Mitgliedern als Racheakt für einen Sprengstoffanschlag auf einen Transportzug willkürlich getötet.
Ob und wann das Hauptverfahren eröffnet wird, stand nach Angaben des Landgerichts Hildesheim noch nicht fest. Die Entscheidung werde in den kommenden Wochen getroffen, sagte ein Sprecher. Das hohe Alter des Mannes spiele bei der Frage, ob die Anklage zugelassen werde, zunächst keine Rolle.
In der Sendung hatte der Mann gesagt, dass die Opfer selbst die Schuld an ihrem Tod trügen, weil sie trotz Arrestierung geflüchtet seien. Sie hätten „Pech“ gehabt. Außerdem sagte er sinngemäß, dass die Zahl von sechs Millionen getöteter Juden in der Nazizeit nicht stimme, es seien nicht so viele gewesen.
Die Verunglimpfung der Opfer durch den heute 96-Jährigen in der TV-Sendung hatte in Frankreich Empörung ausgelöst. Die Äußerungen lösten bei den Einwohnern und beim Bürgermeister von Villeneuve d’Ascq, Gérard Caudron selbst „ein Gefühl und eine Reaktion unermesslichen Abscheus“ aus, erklärt er.
Nach Darstellung der Staatsanwaltschaft bestreitet der 96-Jährige nicht, sich im Gespräch mit den Fernsehjournalisten entsprechend geäußert zu haben. Er will jedoch nicht bemerkt und gewusst haben, dass das Gespräch mit Bild und Ton aufgezeichnet wurde. Außerdem sei er der Auffassung, dass seine Aussagen nicht volksverhetzend seien und damit auch nicht strafbar.
Der heute 96-Jährige war direkt nach dem Krieg von einem französischen Militärgericht in Abwesenheit zum Tode verurteilt worden. Nach französischem Recht war die Strafe wegen eines Kriegsverbrechens nach 20 Jahren verjährt. Diese Verurteilung war der Grund, weshalb die Generalstaatsanwaltschaft Celle im März 2018 ein Verfahren wegen Beihilfe zum Mord gegen ihn eingestellt hatte – entsprechend dem Grundsatz, dass niemand wegen der gleichen Tat zweimal bestraft werden darf.