Kleinensiel - Atomkraftgegner von beiden Seiten der Weser haben ihre Klage gegen die Rückbaugenehmigung für das Kernkraftwerk Unterweser (KKU) erweitert. Grundlage dafür waren 21 weitere Akten, die das Umweltministerium in Hannover auf Anforderung des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg herausrücken musste. Insgesamt erweiterten die Initiativen die Klageschrift von 138 auf 175 Seiten. Ein zentrales Thema ist der Klimawandel.
Er ist nicht nur nach Auffassung der Kläger, sondern auch nach der des TÜV und eines Gutachtens der Universität Siegen nicht hinreichend berücksichtigt worden. Kläger sind der Naturkost-Entwickler Paul Bremer aus Rechtenfleth und seine Lebensgefährtin Ursula Kuschniersch. Die örtlichen Initiativen – Aktion Z, Arbeitskreis Wesermarsch (AKW) und BUND – unterstützen die Klage, die sie selbst nicht führen dürfen.
Schon Anfang 2017 habe der TÜV dem niedersächsischen Umweltministerium geschrieben, dass die Überschwemmung in Folge eines Hochwassers von einer Gewalt, wie es statistisch nur alle 10 000 Jahre vorkommt, eben nicht als „extrem seltenes Ereignis“ eingestuft werden müsse – wie es der KKU-Betreiber Preussen-Elektra tut –, sondern als „Auslegungsstörfall“. Das heißt: Der Rückbau muss auf die Möglichkeit einer solchen Sturmflut ausgerichtet werden. Und das wiederum heißt: Er muss grundsätzlich anders ablaufen als geplant.
Acht Meter hohe Wurt
Das bedeute: Der Deich müsse rund um das Kernkraftwerk erhöht werden, weil er 20 Zentimeter unter Bestick sei. Zudem müsse das Zwischenlager Luna (Lager Unterweser für nukleare Abfälle), das schon im Bau ist, auf eine acht Meter hohe Wurt gestellt werden. Und auch die geplanten Pufferlager im Freigelände am Luna dürfe es nicht geben, weil sie bei einem Deichbruch überschwemmt würden und dadurch Radioaktivität freigesetzt werde.
Auch mit dem Gutachten der Uni Siegen – das die Kläger zusammen mit der TÜV-Empfehlung erst auf Anweisung des Gerichts bekommen haben – sind die keineswegs komplett einverstanden, wie Hans-Otto Meyer-Ott sagt: Auch hier sei der Klimawandel nicht vollständig eingearbeitet, denn es werde bei einer Sturmflut eine Windgeschwindigkeit von höchstens 24 Metern pro Sekunde angenommen. Das sei Stand 2014. Ein Zwischenlager mit schwach- und mittelradioaktivem Abfall müsse aber auf alle Eventualitäten bis 2100 ausgelegt werden.
Des Weiteren fordern die Atomkraftgegner ein neues Konzept für den Abfall, der freigemessen werden soll. Die von 2002 stammende Regel, Stoffe bis zu einer Strahlenbelastung von 10 Mikrosievert freizumessen, sei überholt, weil es inzwischen bessere Messtechniken gebe, sagte der frühere Grünen-Landtagsabgeordnete Friedrich Haubold aus dem Ammerland. Auch die Deponie Käseburg sei nach dem Strahlenschutzgesetzt für diesen Abraum ungeeignet. Erforderlich sei stattdessen ein bundesweites Zentrallager für diese Stoffe aus immerhin rund 30 abzureißenden Kernkraftwerken.
Bis es dieses Zentrallager gebe, müsse das Material im Zwischenlager aufbewahrt werden, das dafür deutlich größer werden müsse. Dafür müsse das Umweltministerium die rechtlichen Voraussetzungen schaffen.
Das Luna muss nach Auffassung der Kläger also neu gebaut werden, nämlich deutlich höher und deutlich größer. Zudem muss es ihrer Überzeugung nach sowieso neu genehmigt werden und darf nicht Teil der Rückbaugenehmigung sein. Gebraucht werde ein Extra-Verfahren mit einem Erörterungstermin, einer separaten strahlungstechnischen Genehmigung und einer Umweltverträglichkeitsprüfung, sagte Jürgen Janssen.
Und der Rodenkircher nennt noch einen weiteren Grund, warum das Luna nach Auffassung der Kläger größer gebaut werden muss: Es solle auch den Inhalt des Blähfasslagers aus den 80er Jahren aufnehmen, das nicht mehr Stand der Technik. Nicht aufnehmen dagegen solle das Luna Abfall aus anderen Kernkraftwerken, wofür 20 Prozent seiner Fläche reserviert ist. Das sei schon wegen der Transporte abzulehnen.
Frist bis 30. November
Nach Auskunft von Hans-Otto Meyer-Ott hat das Oberverwaltungsgericht dem Umweltministerium und Preussen-Elektra aufgegeben, bis zum 30. November auf die Fragen und Forderungen der Kläger zu reagieren. Ob das Gericht dann anhand der Aktenlage ein Urteil fällt oder einen Vergleich vermittelt – gegen den eine Revision nicht möglich wäre –, können die Kläger noch nicht abschätzen. Sollte es zu einer mündlichen Verhandlung kommen, erwarten sie diese für das nächste Frühjahr.