Leipzig /Marienberg Vor dem Weg ins Erzgebirge noch ein wenig Verweilen in Leipzig. Der Anlass – ein historischer. Wer über Europa sprechen will und dem Versuch von Erinnerung an europäische Geschichte begegnen will, wird hier fündig.

Geht das gut? Zum einen kommen nicht wenige Menschen an diesem Sonnentag mit 18 Grad hierher. Zum anderen ist die Zeit aber wohl schon so sehr über all das hinweggegangen, dass dieser größte Denkmalbau Europas für viele nur noch ein architektonisches Kuriosum darstellt. Auf dem Dach eines der Nebengebäude tanzen heute Halbwüchsige zu Popmusik aus dem IPod in der Sonne. Hat die alte Geschichte eine Bedeutung für sie? Ach – das sei doch schon so lange her..., ist die Antwort. Dann: Schweigen.
Gleich um die Ecke haben die Russen 1913 ihre Gedächtniskirche im klassischen russischen Stil gebaut. Es gibt dort ein reges Gemeindeleben. Jetzt ist Gottesdienst. Die Kirche gut gefüllt, der Pope ist durch die halb geschlossene Tür zu hören. Er betet Kirchenslawisch. Ostern steht vor der Tür, und so hängt eine russische Einladung zur Osternacht in einem Schaukasten.

Nun weiter ins Erzgebirge, Richtung tschechische Grenze. Außerhalb des Städtchens Marienberg wohnt Hubertus Heine. Er ist der Bundesvorsitzende eines Vereins, der sich um einen Jagdhund kümmert, der mitten im Kalten Krieg aus der Slowakei in West- und Ostdeutschland eingebürgert wurde. In der Slowakei ist der „Slovensky Kopov“ schon lange heimisch, seine Wurzeln liegen im Dunkeln der Geschichte. Auf abenteuerlichen Wegen haben in den 70er Jahren – zufällig fast gleichzeitig – deutsche Jäger in Ost und West die ersten Welpen aus der Slowakei in die Bundesrepublik und die DDR gebracht. Hubertus Heine hat mir alles über den Hund, der Grenzen überwand, erzählt. Demnächst ist es in der NWZ zu lesen.
Es ist das eine dieser kleinen Geschichten am Wegesrand, die auf den ersten Blick nicht zu entdecken sind, aber in ihrer Summe die Geschichte eines Europa erzählen, das selbst in der gewaltsamen Trennung, wie sie in Marienborn zu erleben und erfühlen ist, Wege gefunden hat, Mauern und Selbstschussanlagen irgendwie zu überwinden – und sei es auch nur, um Jagdhunde aus einer entlegenen, bergigen Ecke des Kontinents in eine neue Heimat zu bringen. Vielleicht sind es ja grade solche kleinen Geschichten, die mehr als jede politische Integration, jedes Europäische Parlament, jede EU-Phrase, jeder Manfred Weber, jeder Jean-Claude Juncker und jede Katarina Barley unseren Kontinent ausmachen.
Morgen geht es nach Prag – und sehr viel weniger angenehm – zuvor nach Theresienstadt, einem Ort voller europäischer Wunden, von Deutschen geschlagen.
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