London /Brüssel Das Rennen um die Nachfolge von Premierministerin Theresa May in Großbritannien nimmt Fahrt auf – und dabei werden die Optionen beim Brexit immer enger. Am Donnerstag stimmten die konservativen Abgeordneten im Unterhaus erstmals ab und warfen zunächst die drei schwächsten der zehn Bewerber raus, die an die Partei- und die Regierungsspitze drängen. In den kommenden Tagen wird weiter gesiebt. Aber wer es auch wird: Mit hoher Wahrscheinlichkeit ist es ein Brexit-Hardliner.
Wie hältst Du es mit dem No-Deal? Das war die Gretchenfrage für die Kandidaten. Gemeint ist der von vielen gefürchtete ungeregelte Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union, der die Wirtschaft und die Bürger schwer belasten dürfte. Doch gilt der abrupte Bruch mit Brüssel bei Brexit-Anhängern immer mehr als reine Lehre.
Favorit Boris Johnson, der in der ersten Abstimmungsrunde am Donnerstag die größte Unterstützung erfuhr, stellt den No-Deal-Brexit offen in den Raum. Zwar sei er nicht darauf aus, beteuerte er in seiner Bewerbungsrede am Mittwoch.
Aber die bereits zwei Mal verlängerte Austrittsfrist bis 31. Oktober müsse unbedingt eingehalten werden. Das Land müsse auf alles vorbereitet sein, sagte der frühere Außenminister. Sein Versprechen lautet: Er werde einen „besseren Deal“ aushandeln als Premierministerin May, die mit ihrem Brexit-Abkommen im Parlament dreimal scheiterte.
Nachbesserungen haben auch andere Bewerber angekündigt, verbunden mit der Drohung, sonst eben ohne Vertrag aus der EU zu gehen. Nur ignorieren sie dabei die unmissverständliche Ansage aus Brüssel: „Das Austrittsabkommen wird nicht nachverhandelt“, sagte Kommissionschef Jean-Claude Juncker gerade erst wieder. Wenn beide Seiten hart bleiben – ist dann ein No-Deal-Brexit überhaupt noch abzuwenden?
Nach Mays Abgang sei man einer Lösung nicht näher gekommen, analysiert Fabian Zuleeg vom European Policy Centre in Brüssel. Jeder Versuch, einen besseren Deal rauszuholen, sei zum Scheitern verurteilt. Und im britischen Unterhaus gebe es für keine der Optionen eine Mehrheit. „Das könnte bedeuten, dass das Vereinigte Königreich jetzt die einfache Wahl hat zwischen einem No-Deal und der Variante, die EU doch nicht zu verlassen“, mutmaßt Zuleeg.
In Brüssel scheint der Schrecken eines No-Deal etwas abgeklungen – das suggerierte jedenfalls die EU-Kommission in der jüngsten Bilanz zum Stand der Vorbereitungen. Zusätzliche Notfallpläne seien nicht nötig, hieß es da, denn die EU-Staaten seien „auf alle Szenarien in hohem Maße vorbereitet“. Zwar seien „erhebliche Störungen für Bürger und Unternehmen“ und schwerwiegende wirtschaftliche Folgen zu erwarten, aber diese wären ungleich schlimmer für Großbritannien.
Dort ist die Bevölkerung immer stärker polarisiert in Befürwortern eines No-Deal-Brexits und denen, die den Austritt am liebsten ganz abwenden wollen. So wurden bei der Europawahl Ende Mai die großen Volksparteien abgestraft, die beim Brexit intern zerstrittenen Konservativen und Labour. Stattdessen triumphierten die Brexit-Partei von Nigel Farage auf der einen und die proeuropäischen Liberaldemokraten auf der anderen Seite.
Die EU-Befürworter hoffen darauf, dass das Unterhaus einen No-Deal abwendet. Immerhin hat dort eine klare Mehrheit zweimal dagegen gestimmt, ohne Vertrag zu gehen.