Zwei fauchende Löwen flankieren den Eingang in eine prächtige Halle. Selbst die Möbel glänzen golden. Orientalische Pracht, die Besucher beeindrucken soll. Hier, hoch über Ankara, residiert der mächtige türkische Premier Recep Tayyip Erdogan. Ins Heiligste darf nur Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) allein mit einem Begleiter. „1 plus 1“ hat Erdogan als Bedingung für das Gespräch in seiner Residenz verfügt. Der Premier will offen reden. Keine weiteren Ohren. Selbst das Internet wird in der Zeit abgeschaltet. Und hinter den verschlossenen Türen geht es tatsächlich zur Sache. „Erfolgreicher Abschluss einer erfolgreichen Woche“, wird Weil hinterher im Gespräch mit dieser Zeitung bilanzieren.
Die türkische Führung rollt dem Niedersachsen den roten Teppich aus. Alle stehen bereit: Präsident Abdullah Gül, Premier, Vize, vier Minister, Vize-Minister, der Präsident der Religionsbehörde, zwei Gouverneure. Respekt vor dem amtierenden deutschen Bundesratspräsidenten? Oder schlechtes Gewissen nach der wenig feinen Behandlung von Bundespräsident Gauck zuvor, der Pressezensur und Grundrechtsverstöße kritisierte? Weil wollte vor allem eine Partnerschaft Niedersachsens mit der Region Konya aus der Taufe heben. Aber in Ankara drängt die gesamte Führungsspitze auf ein Treffen mit dem deutschen Gast.
Erdogan nimmt sich viel Zeit. Fast eine Stunde dauert die Tacheles-Runde. „Alle kritischen Punkte wurden besprochen“, erzählt Weil Minuten nach dem Treffen. Auch der Gauck-Besuch. „Der Bundespräsident hat Sachverhalte falsch verstanden“, behauptet ein noch immer verärgerter Erdogan. Weil widerspricht, weist auf die „Inhaftierung von Journalisten“ hin. Antwort Erdogans: „Die Journalisten wurden vor meinem Regierungsantritt rechtskräftig verurteilt.“ Und Pressezensur und gesperrtes Internet? Erdogan: „eine Reaktion auf Gesetzesverstöße“. Weil: „Aber solche Maßnahmen werden in der deutschen Öffentlichkeit nicht verstanden. Gerade bei der Jugend.“ Grundrechte, Wirtschaftsbeziehungen, EU, Doppelpass für Türken (Weil: „Es gibt ganz praktische Fortschritte“) – kein Thema wird ausgespart. Das Ende kommt versöhnlicher. Weil lädt Erdogan zur Hannover Messe ein. Erdogan gibt den Wunsch mit, „dass die Große Koalition in Berlin zu einer verbesserten Zusammenarbeit mit der Türkei findet“. Kein einziges Mal fällt der Name Merkel. „Da stimmt die Chemie überhaupt nicht“, sagt ein Kenner.
Weit weniger spannungsgeladen verlief das Gespräch mit einem aufgeräumten Präsidenten Gül Minuten zuvor. Sein Präsidentenpalast kaum weniger pompös. Schwere Ledersessel, an der Stirnwand eine riesiger goldener Stern und zwei mächtige Fahnen. Auch Gül nimmt sich viel Zeit. „Eine beeindruckende Persönlichkeit“, beschreibt jemand aus der deutschen Delegation den Kontakt. „Ausgesprochen freundlich“, bestätigt Weil. EU, Wirtschaft, Grundrechte (Gül: „Die rechtsstaatliche Entwicklung ist auf einem guten Weg“) – die Themen ähneln sich. Niedersachsen bekommt besonderes Lob: „Von dort kommen die Politiker, die sich am meisten für das türkisch-deutsche Verhältnis einsetzten – Wulff und Schröder.“ Weil widerspricht nicht. SPD-Chef Gabriel und er selbst könnten auch in dieser Liste auftauchen. Die Fahrt zurück zum Flughafen – ein entspannter Weil kann sie genießen.