HANNOVER Sie wollte alle gemeinsam an einen Runden Tisch holen – doch jetzt steht Aygül Özkan plötzlich ganz allein da. Der Plan von Niedersachsens CDU-Sozialministerin, die eingeladenen Journalisten bei einem „Round Table Integration“ eine zur „kultursensiblen Sprache“ verpflichtende Medien-Charta unterzeichnen zu lassen, stieß in Politik und Presse bundesweit auf großen Widerspruch.
Kritik auch von der FDP
„Das sieht doch aus, als wolle man sich die Medien gefügig machen“, empörte sich SPD-Fraktionschef Stefan Schostok. Die medienpolitische Sprecherin seiner Partei, Daniela Behrens, zeigte sich sogar „fassungslos“: Sie bezeichnete die Pläne als „Zensur“.
Grünen-Fraktionsvorsitzender Stefan Wenzel forderte die Landesregierung auf, Pläne für eine „verbindliche Sprachregelung“ sofort zu beerdigen.
Auch beim liberalen Koalitionspartner der CDU kam die Idee einer Medien-Charta nicht gut an. Der Vorsitzende der FDP-Fraktion, Christian Dürr, geht zwar davon aus, „dass die Sache von Frau Özkan gut gemeint war“. Aber, so der Ganderkeseer weiter: „Medien sind dafür da, kritisch und unabhängig zu berichten – sie sind nicht dafür da, ,kultursensible‘ Berichterstattung zu machen!“
Verleger wehren sich
Mit Unverständnis reagierten Journalisten und Presseverbände auf den Özkan-Plan. „Inakzeptabel“ und „unglaublich“ findet etwa Hans Leyendecker, investigativer Journalist bei der „Süddeutschen Zeitung“ in München, die Vorschläge: „Journalisten sind ja keine Gemeindepfarrer!“ Für den Verband Nordwestdeutscher Zeitungsverlage kündigte Geschäftsführer Stefan Borrmann an, man werde „auf keinen Fall irgendwelche Einschränkungen der Pressefreiheit hinnehmen“.
Verweis auf Pressekodex
Beim Deutschen Presserat verweist man derweil auf den Pressekodex, Ziffer 12: Demnach darf niemand wegen seiner Zugehörigkeit zu einer ethnischen, religiösen, sozialen oder nationalen Gruppe diskriminiert werden. „Über 90 Prozent der Verlage haben sich zur Einhaltung des Pressekodex verpflichtet“, sagt Presserats-Sprecherin Ella Wassink. „Wir fragen uns jetzt: Wozu braucht man eine weitere Selbstverpflichtungserklärung?“ Es sei immer sehr heikel, sich in die journalistische Arbeit einzumischen, „das sollte auch im Niedersächsischen Sozialministerium bekannt sein“.
Unbehagen löste der Presserummel um die Medien-Charta inzwischen bei den geladenen Rednern der „Round Table“-Veranstaltung am 16. August in Hannover aus. Thorsten Hapke, der als Vorsitzender der Landespressekonferenz die Diskussionsveranstaltung eröffnen sollte, betonte, der Text der geplanten Charta sei ihm unbekannt gewesen. „Ich halte es mit Hajo Friedrichs: Mache dich nie mit einer Sache gemein, und sei es eine gute.“ Medien könnten nicht der Motor von gesellschaftlicher Veränderung sein, sie könnten nur darüber berichten.
Und das Büro von „Bild“-Chefredakteur Kai Diekmann, der ebenfalls als Redner eingeladen worden war, teilte auf Nachfrage mit, dass Diekmann sein Kommen nie zugesagt habe.
Ministerin rudert zurück
Die Ministerin bemühte sich unterdessen, die Wogen zu glätten. Die Charta sei lediglich als „erste mögliche Diskussionsgrundlage für den 16. August“ gedacht, schrieb sie in einer Stellungnahme. Allerdings mache der Text der E-Mail, mit dem der Entwurf an die Medien verschickt worden sei, „diesen vorgesehenen Abstimmungsprozess“ nicht deutlich. „Insofern verstehe ich die Irritation und möchte klarstellen: Nichts liegt mir ferner, als die Unabhängigkeit der Medien in irgendeiner Form zu berühren.“
Schon das Anliegen Özkans, die Medien mit der Charta für das Thema Integration zu sensibilisieren, wurde von Verbandsvertretern als überflüssig beurteilt. „Journalisten sind sich auch ohne Hinweis der Ministerin der Bedeutung des Themas Integration bewusst“, sagte der Vorstand des Deutschen Journalisten-Verbandes (DJV) Niedersachsen, Michael Bohl. Und beim Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) in Berlin fragte Sprecherin Anja Pasquay: „Wer, wenn nicht die Zeitungen, schreibt denn jeden Tag über das Thema Integration?“
Bereits der zweite Ärger
Ministerin Aygül Özkan, 38 Jahre alt und noch keine 100 Tage im Amt, eckt bereits zum zweiten Mal mächtig an: Noch vor ihrer Vereidigung hatte sie Kirchen und Parteifreunde gegen sich aufgebracht, als sie ein Verbot von Kruzifixen in Schulen forderte. Damals stellte sich ihr Förderer, Ministerpräsident Christian Wulff, schützend vor sie.
Diesmal ist aus der Niedersächsischen Staatskanzlei von Regierungschef David McAllister nichts zu hören.
Es war der Wunsch von Özkan, dass die anwesenden Journalisten die Medien-Charta möglichst „öffentlichkeitswirksam“ unterzeichnen. Diese Art der Aufmerksamkeit hatte die Ministerin dabei aber sicherlich nicht im Sinn.