Prag Prag an einem Sonnentag im Frühjahr wird sich wohl nie ändern: Über die alte, ehrwürdige Karlsbrücke wälzen sich Tausende Touristen. „Künstler“ bieten ihre zweifelhaften Werke feil, eine Band älterer Herren spielt mit Schmackes New Orleans Jazz. Über dem ganzen thront die Burg.
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Nebenan in der Prager Graf Straka-Akademie sitzt ein ebenso schillernder tschechischer Regierungschef: Andrej Babis, ein Unternehmer, der zweitreichste Mann Tschechiens und gleichzeitig ein Medienmogul. Vieles an ihm erinnert an Donald Trump. Babis hat mit Korruptionsvorwürfen zu kämpfen und mit europäischem Enthusiasmus wenig zu schaffen: Erst jüngst verkündete er: „Ich will den Euro nicht!“ Für Tschechien mache dieser keinen Sinn, die EU habe sich in der Wirtschafts- und Währungspolitik nicht an die Grundregeln gehalten.
Tschechien erfüllt die Maastricht-Kriterien für den Euro übrigens schon seit Jahren. Es könnte sofort beitreten.

Es war ein faszinierendes Gespräch, das eines überdeutlich machte: Viel zu oft beurteilen und werten die Deutschen das Handeln und die politischen Ereignisse auch in ihren unmittelbaren Nachbarländern durch ihre eigene Brille. Da werden die eigenen historischen Erfahrungen und das eigene politische Handeln als absolut gesetzt. Wer sich denen nicht fügt, der kann ja nur irrational handeln oder ein Quertreiber sein. Dass Nachbarvölker völlig andere Erfahrungen gemacht haben, dass sie wegen der geografischen Lage ihres Landes und der vergleichsweisen kleinen Bevölkerung anders handeln können und auch müssen, kommt wenigen in Deutschland in den Sinn.
Diese Reise scheint mir nun zunehmend von drei Großthemen bestimmt zu sein: Zum Ersten die politischen Sonderwege in der Region, die womöglich aber nur aus deutscher Sicht Sonderwege sind und für Länder wie Tschechien, Ungarn oder Polen sogar sinnvoll sein mögen. Zum Zweiten die historischen Erfahrungen, die zum einen diese Sonderheiten erklären, zum anderen aber auch einen gemeinsamen europäischen Weg möglich machen – obwohl damit große Schmerzen und ein anstrengendes Erinnern verbunden ist. Und zum Dritten ist da die Frage nach der Identität. Entwickelt sich eine neue „europäische Identität“? Wie beständig sind nationale Identitäten in diesem Großraum? Wollen diese Völker überhaupt eine „europäische Identität“ annehmen, wie das erst gestern der EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker erneut gefordert hat? Das erscheint mir zunehmend zweifelhaft.
Die Themen „Identität“ und „historische Erfahrung“ begegneten mir am Nachmittag auf der Prager Kleinseite. Ich machte da einen Umweg an der deutschen Botschaft vorbei. 1989, also vor 30 Jahren, flüchteten sich Hunderte DDR-Bürger in diese Botschaft, um ihre Ausreise in die Bundesrepublik zu erzwingen. Die tschechische Regierung kooperierte damals mit Bonn – und Genscher hielt schließlich seine berühmte Balkonrede, in der er den Menschen die Ausreise nach Deutschland verkündete. Der Rest ist – nicht nur deutsche – Geschichte.
1989 stand ich als ganz junger Mann schon einmal vor dem Palais Lobkowitz. Ich bin damals nicht über die Mauer in den Botschaftsgarten gesprungen. 2014 traf ich in der Botschaft dann Rudolf Seiters, der als Kanzleramtsminister maßgeblich an den Verhandlungen über die Ausreise der DDR-Bürger beteiligt war. Was er mir damals über diese hochdramatischen Tage berichtete, werde ich für die NWZ noch einmal aufbereiten. Es ist eine wichtige Erzählung deutscher, tschechischer und europäischer Geschichte.
Jetzt aber ein Päuschen – und am Abend ruft der Schweinebraten mit Knödeln.