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Deutschland Gipfelsturm: Das Dürrnbachhorn ruft

Reit Im Winkl - Die Winklmoosalm ist das touristische Aushängeschild von Reit im Winkl – ein Startpunkt für herrliche Wanderungen und der erste Sternenpark in den Alpen.

Vor 30 Jahren war ich zum ersten Mal dort und bin mit meinem Vater auf das Dürrnbachhorn gewandert. Das Dürrnbachhorn gehört zu den schönsten Gipfeln in den Chiemgauer Alpen, keine Frage. Nun also ein neuer Anlauf, diesmal zusammen mit meiner Frau. Ein bisschen aus der Übung bin ich schon. Da hilft nur eine Art individueller Coach: Marlies Speicher, geprüfte Bergwanderführerin, begleitet uns. Wir treffen sie vor der Hütte der Bergwacht auf der Winklmoosalm. Speicher ist guter Dinge, wir haben „Kaiserwetter“.

Heimat der Goldrosi

Die Winklmoosalm ist mit 560 Hektar die größte Alm Deutschlands, so bekannt wie sonst vielleicht nur noch die Seiser Alm. Und es ist der bekannteste Ortsteil von Reit im Winkl, vor allem, weil hier eine Frau großgeworden ist, die alle nur „die Rosi“ nennen, wahlweise auch „die Goldrosi“. 1976 gewann Rosi Mittermaier in Innsbruck in den alpinen Disziplinen drei olympische Medaillen, davon zwei goldene. Von einem Tag auf den anderen war die Winklmoosalm in aller Munde.

Marlies Speicher führt uns zunächst zur Kapelle „Mariä Himmelfahrt“, dem Wahrzeichen der Alm. Nicht weil wir besonderen Beistand nötig hätten, sondern weil wir vielleicht etwas zu ungläubig geguckt haben, als Speicher erzählte, dass sie von Kindesbeinen an auf der Alm war, ganze Sommerferien lang. „Schwammerl“ und Beeren hat sie gesammelt und aus Seidenpapier Kronen gebastelt, die die Kühe beim Almabtrieb trugen. Gemeinsam werfen wir einen Blick in die kleine Kapelle, in der Bilder die Erinnerung wachhalten an verstorbene Almbewohner, darunter ihre Schwiegereltern.

Nostalgiebahn

Nun müssen wir uns entscheiden: eine längere Strecke zu Fuß oder das erste Stück von der Winklmoosalm bis zur Bergstation Dürrnbachhorn mit einer Seilbahn? Wir wählen die bequeme Variante. Die Nostalgiebahn, Baujahr 1952, ist ein Abenteuer für sich: keine geschlossenen Kabinen, sondern offene Holzsitze, die an gebogenen Metallstangen baumeln. Ein freundlicher Mensch hilft beim Einsteigen, ein Schwenkbügel verhindert ein vorzeitiges Aussteigen. 20 Minuten dauert die Fahrt, von 1195 Meter geht es hinauf auf 1610 Meter. Kurze Rast auf der Terrasse der Bergstation, die Kulisse beeindruckt: vor uns die Tiroler Berge mit dem Wilden Kaiser und weiter links die schneebedeckten Gletscher des Alpenhauptkamms, Großvenediger und Großglockner. Nicht schlecht, denkt sich der Norddeutsche.

Kartenspiel um Hochtal

Der Aufstieg beginnt, für uns ungewohntes Gelände. Marlies Speicher empfiehlt kleine Schritte und einen aufrechten Gang. „Die Goldmedaille zeigen wir her.“ Der Weg zum Gipfel verläuft fast auf der Grenze zu Österreich – für Speicher eine gute Gelegenheit, die Geschichte vom „Schell-Unter“ zu erzählen. Denn nach den Wirren der napoleonischen Kriege war ganz Reit im Winkl ein „weißer Fleck auf der Landkarte“, von den Mächtigen der Welt vergessen. Also trafen sich die Regenten von Bayern, Salzburg und Tirol, um die Dinge fried-lich zu regeln. Ein Kartenspiel sollte entscheiden, zu wem das Hochtal gehört. Der Kurfürst von Bayern machte den entscheidenden Stich, den „Schell-Unter“, so will es die Sage. Das nahe Salzburg hätte auch gepasst, sinniert Speicher, jedenfalls was das Brauchtum betrifft. Und auch vom Gemüt her, denn hier wie dort gebe es eine große Gelassenheit und den Glauben, dass etwas gut ausgeht, ganz nach dem Motto: „Schaun mer mal, das kriegen mer scho“.

Naturschutzgebiet

Endlich, der Gipfel, 1776 Meter über Normalnull. Zu unseren Füßen liegt das Naturschutzgebiet Östliche Chiemgauer Alpen und irgendwo in der Ferne Traunstein. Zitronenfalter und Pfauenauge umschwirren uns, dazu ein paar Bergdohlen, alles andere als scheu. Ständig kommen neue Gipfelstürmer, Einheimische wie Urlauber. Die einen grüßen kurzatmig „Hallo“, die anderen entspannt „Grüß di“. Und alle machen ein Selfie. Die Mutigen gehen weiter über einen Grat, doch der ist nur für Leute, die trittsicher und schwindelfrei sind, also nichts für uns. Wir nehmen den Weg, den wir gekommen sind, dann aber nicht die Nostalgiebahn, sondern einen schmalen Pfad hinab ins Finsterbachtal, den wir ohne Marlies Speicher vermutlich nicht gefunden hätten.

Erster Sternenpark

Ein paar Tage später kommen wir zu später Stunde noch einmal wieder. Denn der Besuch der Winklmoosalm lohnt auch nachts. 2018 wurde sie von der International Dark Sky Association zum ersten Sternenpark in den Alpen gekürt. Der Münchener Manuel Philipp, der das Projekt maßgeblich vorangetrieben hat, bietet von Mai bis Oktober wöchentlich eine Sternenführung an, zu der man am besten Klappstuhl oder Isomatte und auf jeden Fall auch einen warmen Pullover mitbringt. Denn selbst an einem Juliabend kann es empfindlich kalt werden.

Und weil es noch nicht richtig dunkel ist, verliert Philipp erst einmal ein paar Worte zur Lichtverschmutzung. Er skizziert die Folgen für Mensch und Tier, erläutert das kleine Einmaleins unseres Sonnensystems und die Konstellation der Planeten. Je dunkler es wird, desto mehr funkelt es am Himmel. In sehr klaren Nächten sind bis zu 6000 Sterne zu sehen – ohne Fernglas oder Spektiv. Zum Vergleich: In München sind es mit Glück vielleicht 200.

Anreise: Mit der Bahn bis Prien am Chiemsee und dann weiter mit einem Bus der Linie 9505 nach Reit im Winkl. Oder mit dem Pkw auf der Bundesautobahn München-Salzburg (A8) bis Bernau oder Grabenstätt und dann auf der Deutschen Alpenstraße (B305) bis Reit im Winkl.

Informationen: Tourist-Information Reit im Winkl, t  08640/80020

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