Astana Zu den scheinbar unumstößlichen Gewissheiten des Weltsports gehört: An der Spitze der Tischtennis-Weltrangliste steht entweder ein Chinese, ein Chinese oder ein Chinese. Seit 34 Monaten thront dort der Weltmeister und Olympiasieger Ma Long. Bei den „World Tour Grand Finals“ im kasachischen Astana könnte an diesem Freitagmorgen aber etwas Historisches und für diesen Sport noch immer Außergewöhnliches passieren: Denn sollte Dimitrij Ovtcharov dort bereits sein erstes Spiel gegen den Japaner Koki Niwa gewinnen, wäre er ab Januar die neue Nummer eins. Dann würde erst zum zweiten Mal überhaupt ein deutscher Spieler die Weltrangliste im Tischtennis anführen.
„Klar, Weltmeister zu werden oder Olympiasieger, ist nochmal eine andere Nummer“, sagte der 29-jährige Hamelner: „Aber Weltranglisten-Erster zu sein, ist auch ein absolutes Statement.“ Als bislang einzigem deutschen Profi war dies Timo Boll in den Jahren 2003 und 2011 gelungen. Selbst Legenden wie Eberhard Schöler oder der heutige Bundestrainer Jörg Roßkopf schafften es nur bis auf Platz zwei und vier dieses Rankings.
Fakt ist: Sollte Ovtcharov zur neuen Nummer eins aufsteigen, würde er damit auch von einer Reform der Weltrangliste profitieren, die selbst bei Spitzenspielern umstritten ist. Das neue Bewertungssystem begünstigt Profis, die bei vielen Turnieren mitspielen. Ma Long dagegen, der anerkannt beste Spieler der Welt, darf von Donnerstag bis Sonntag nicht einmal an den Grand Finals teilnehmen, weil er in diesem Jahr zu wenig World-Tour-Wettbewerbe bestritten hat.
Fakt ist aber auch: Ovtcha-rov blickt schon jetzt, wie er sagt, auf „das beste Jahr“ seiner Karriere zurück. Der Olympia-Dritte von 2012 gewann in den vergangenen Monaten den World Cup, die German Open, die China Open und noch drei weitere internationale Turniere. Mit dem deutschen Team wurde der gebürtige Ukrainer außerdem Mannschafts-Europameister, mit seinem russischen Club Orenburg gewann er die Champions League.
Doch in Astana ist für Ovtcharov die erste Hürde hoch: Gegen den Weltranglistenachten Niwa hatte der Olympiadritte von London im vergangenen Juni im Achtelfinale der Heim-WM in Düsseldorf mit 3:4 eine seiner schmerzhaftesten Niederlagen quittieren müssen. Bei einer misslungenen Revanche könnte der zweimalige Europameister allerdings Long als Spitzenreiter zum Jahreswechsel auch dann ablösen, wenn Mas Landsmann Fan Zhendong in Astana nicht den Titel gewinnt.