Vechta Ella Buttkus sitzt auf einem Holzschemel. Vor ihr steht ein rustikaler Holztisch, auf dem eine eiserne Schere, Band und eine kleine Schatulle mit Holzperlen liegen. Ihr Haar hat sie unter einem weißen, kunstvoll gewickelten Tuch versteckt, Jeans und T-Shirt gegen ein dunkelgrünes, altertümliches Gewand aus fein gewalkter Wolle getauscht. Für zwei Tage ist die Hamburgerin in die Rolle einer Paternostermacherin des Spätmittelalters geschlüpft – und sie ist eine von vielen, die für die mittlerweile 19. Burgmannentage in Vechta ihren Alltag für eine kurze Zeit hinter sich lassen.
„Living History“, also „Lebendige Geschichte“ heißt die Form des Rollenspiels, das die vielen Mittelalterfans im Vechtaer Zitadellenpark betreiben, ja, vielmehr leben. Denn kaum einem der Gaukler, Schmiede, Mägde, Ritter oder Wikinger sah man am vergangenen Wochenende an, dass sie eigentlich im 21. Jahrhundert zuhause sind. So wie Mai-Britt Wiechmann und Philipp Heil, die extra aus Göttingen angereist waren und wie Buttkus zum „Netzwerk Spätmittelalter im Norden“ gehören. Das Netzwerk ist eine von vielen Gruppen, die jedes Jahr für die Burgmannentage nach Vechta kommen und mit einer großen Portion Einfallsreichtum und Detailliebe ihr Hobby ausleben.
Genau diese Begeisterung für das Mittelalter steckte auch die vielen Besucher an, die beim Betreten des Zitadellenparks am Samstag und Sonntag in eine andere Welt abtauchen durften. Viele Interessierte streiften mit einem Krug Met oder Calvados in der Hand durch die Heerlager, vorbei an großzügigen Zelten und winzigen Jurten, sahen Schmieden und Schuhmachern bei der Arbeit zu oder ließen sich von den Hausfrauen des Mittelalters die besten Rezepte für Wildschweinbraten verraten.
Über viele, besonders ganz junge Zuschauer konnten sich auch die Krieger der Oldenburger Gruppe „Heydenwall“ freuen, die bewaffnet mit Schild, Axt und Schwert auf einem großen Freigelände mittelalterliche Schlachten und War Games zeigten. Wer es den großen Kriegern dann nach tun wollte, hatte dazu an den vielen Mitmachständen für Kinder Gelegenheit und konnte sich beispielsweise sein eigenes (Holz-)Schild fertigen oder einen Blumenkranz knüpfen. Und weil im Mittelalter die Worte vegan oder kalorienarm noch nicht bekannt waren, mischte sich im Zitadellenpark der Geruch von offenem Holzfeuer mit dem Duft von Schweinebraten, gebrannten Mandeln und Holzofenbrot.
Im Mittelpunkt standen aber die Information rund um das Mittelalter. Reichlich Wissenswertes gab es nicht nur im Museum im Zeughaus und am „Castrum Vechtense“, einem Burgmodell des elften Jahrhunderts, sondern auch aus erster Hand von den Teilnehmern des Mittelalterspektakels. So wie von Ella Buttkus, Philipp Heil und Mai-Britt Wiechmann, die immer wieder von Besuchern angesprochen wurden und über ihr Hobby erzählen durften.