Wilhelmshaven Mit drei Glockenschlägen wurde Punkt 15 Uhr die ökumenische Andacht zum Gedenktag der Shoa in der Banter Kirche begonnen. Denn genau um diese Uhrzeit vor 77 Jahren war das Vernichtungslager Auschwitz von der Roten Armee befreit worden. Den Befreiern unter ihrem Kommandeur Anatoli Shapiro bot sich ein Bild des Grauens, beschrieb Pastor Frank Moritz eindringlich. Kantor Markus Nitt ließ die melancholische Melodie aus dem Film „Schindlers Liste“ erklingen. Unmenschliches Leid sei geschehen, so dass es zum Himmel schrie, sagte Pfarrer Andreas Bolten von der katholischen St. Willehad-Gemeinde. Frank Moritz ging auf Niklas Frank, Sohn des Generalgouverneurs im besetzten Polen Hans Frank, ein. Dieser habe sein Lebensthema darin gefunden, sich mit seinem bei den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen gehängten Vater und dessen Taten auseinander zu setzen. Das fortwährende Schweigen sei ihm auf die Nerven gegangen, zitierte der Pastor Niklas Frank. Die Ideologie seines Vaters sei nicht mit ihm gestorben. Das Schweigen darüber habe wie Gift zur Empathielosigkeit geführt. Was die AfD heute mache, sei wie aus dem Lehrbuch seines Vaters.
Mangelnde Zivilcourage
Dabei könne mangelnde Zivilcourage bis in die Gasöfen von Auschwitz führen. Wie könne es möglich sein in Deutschland, dass das alte Gift immer noch wirke? Jude sei ein Schimpfwort auf Schulhöfen. Wer Kippa trage, müsse um sein Leben fürchten. Und keine Synagoge komme ohne Polizeischutz aus. Das Herz der Menschen werde nicht erreicht, so das weitere Zitat Niklas Franks. Wer Deutschland wirklich liebe, habe zuallererst den Schmerz über die zwölf Jahre NS-Diktatur in sich. Höre er AfD-Politikern zu, fühle er sich an Zitate seines Vaters erinnert. Gedenkveranstaltungen, so der Pastor, dürften nicht verkopft sein. Sie müssten die Herzen der Menschen berühren. Die Sinne im Alltag für Gefahren und Verunglimpfungen der Demokratie müssten geschärft sein. Für die ausliegenden Zettel mit dem Psalm habe er ein Bild der befreiten Kinder von Auschwitz gewählt, mit den tätowierten Nummern auf ihren Ärmchen.
1,5 Mio. ermordeter Kinder
Sein Herz habe dies ebenso berührt wie die Erinnerung an 1,5 Millionen ermordeter Kinder in der Gedenkstätte Yad Vashem, jedes mit einem Herzen und einer Seele. Nicht schweigen sollten die Menschen, sondern lieben mit ganzem Herzen, ganzer Seele und ganzem Gemüt. Sozialpädagogin Rahel Kordecki vom Jugendtreff Haven84 der St. Willehad-Gemeinde hatte im Herbst mit über 150 Jugendlichen ein Projekt zu Krieg und Frieden durchgeführt. Die Ergebnisse waren zunächst in der St. Willehadkirche und nun in der Banter Kirche zu betrachten.
„Waffen ins Meer“
Zum Thema „Unser Frieden“ wurden Graffitis gesprüht. Die Haven-Band komponierte den Rap „Waffen ins Meer“. Es entstand ein Buch über Judentum und Antisemitismus in Wilhelmshaven. Was es heißt, in Kriegsgebieten zu sterben, wurde auf Leichenhemden gedruckt. Spitzendeckchen bestickten die Jugendlichen mit Begriffen zu Krieg und Frieden. Die Welt sei schön, so das Fazit der Sozialpädagogin, wenn wir uns gegenseitig respektierten. Am Ausgang erhielten alle Gäste eine Kerze mit Zitaten der Jugendlichen. Die Kollekte war für die Jüdische Gemeinde Oldenburg bestimmt.