Eversten - Die Tage des ehemaligen „Grünen Jäger“ an der Edewechter Landstraße sind gezählt. Bauarbeiter sind im und auf dem Gebäude neben der Ansgarikirche damit beschäftigt, Dämmmaterial aus dem Haus zu holen. Die Vorbereitungen auf den Abriss laufen auf Hochtouren.
Auftraggeber ist ein Oldenburger Investor, der namentlich nicht genannt werden möchte. 50 bis 60 Wohnungen sollen auf dem Gelände entstehen. Bei der Stadtverwaltung liegt zu dem Vorhaben nichts vor, teilt Juliane Pflugmacher aus dem städtischen Pressebüro auf Nachfrage der NWZ mit. Es habe weder Beratungsgespräche gegeben, noch liege ein Bauantrag vor.
Vorbesitzer ein Jäger
Mit dem Abriss endet ein Stück Everster Geschichte, die am 1. Mai 1873 begann. Die Namensgebung geht vermutlich auf den Beruf des Vorbesitzers, einen Oberförster und Jäger, zurück. Die Folgejahre liegen im Dunkeln, doch im März 1947 wurde das Grundstück des damaligen Eigentümer Gerhard Gustav Schmalriede vom Kaufmann Wilhelm Dierks erworben, erinnert sich dessen Sohn Wilfried Dierks. Kenntnisse zum Beruf des Restaurators hatte sich der im Jahre 1901 in der Nähe von Oldenburg geborene neue Eigentümer in den Vorjahren bei mehrjährigen Aufenthalten und Tätigkeiten in Südamerika (Brasilien, Argentinien und Feuerland), als Steward auf Passagierschiffen, Mitarbeiter in einem Kurhaus an der niederländischen Küste sowie im Zweiten Weltkrieg in der Küche des Offizierskasino in Wilhelmshaven erworben, berichtet Wilfried Dierks.
Sofortiger Umbau
Das alte Gebäude wurde von Wilhelm Dierks sofort nach Erwerb durch Um- und Erweiterungsbauten sowie Ausstattung komplett neu gestaltet und nach den damaligen Vorstellungen und modernen Ansprüchen an ein gastronomisches Veranstaltungshaus angepasst: Der Festsaal wurde vergrößert durch den Abriss des Gebäudeteils, in dem die Kegelbahn untergebracht war, durch An-, Um- und Einbauten entstand eine große Bühne mit Veranda, ein neuer Küchenbereich sowie Garderoben- und Flurräume. Auch die Toilettenanlagen wurden saniert, der Tanzboden bekam ein Parkett, das Restaurant mit Klubraum wurde umgestaltet und der Festsaal sowie sämtliche Räume bekamen neue Türen, neues Inventar und Beleuchtung (Tangokugel im Saal). Zudem wurde ein Konzertflügel angeschafft und im Garten ein Gästebereich eingerichtet.
„Durch diese erste Neuformung eines Saalbetriebes mit Restaurant und Kaffeegarten wurde der neue „Grüne Jäger“ nach dem Zweiten Weltkrieg zum gefragten Treffpunkt für geschlossene Gesellschaftsfeiern und für offene Tanzveranstaltungen an Sonnabenden sowie Sonntagen und zeitweise auch an Mittwochabenden.
Der „Grüne Jäger“ traf den Zeitgeist. Nach dem Kriegsende bestand ein großer Nachholbedarf an geselligen Feiern und Vergnügungen. Das Lokal war über Wochen hinweg Tag für Tag für diverse Gesellschaften und Verbände ausgebucht, die auch mit Festessen bewirtet wurden. Zu den Kunden gehörten Heimatvertriebene, die Theatergesellschaft, der Schaustellerverband oder einheimische Vereine. Außerdem gab es offene Tanzveranstaltungen sowie Karnevals- und Silvesterfeiern.
„Bei Stromsperrungen in den Nachkriegsjahren sorgte ein eigenes Stromaggregat für Beleuchtung. Zur Bedienung der Gäste wer fachkundiges Personal im Einsatz“, schreibt Dierks in seinen Erinnerungen weiter. Gern wurde auch die Küche in Anspruch genommen, in der „Tante Frieda“ an den Töpfen stand.
Für die musikalische Unterhaltung sorgten erstklassige Musikkapellen, besetzt mit Musikern, die vor der Flucht in den Westen bei ostdeutschen Rundfunksendern tätig waren. Dierks erinnert in diesem Zusammenhang an die Kapelle Otto Fricke und in den Folgejahren an die Tanzkapelle Erich Lachmann mit dem Klarinettisten Herbert Wellsandt und insbesondere auch bei Kaffeekonzerten am Sonntagnachmittag an den Konzertpianisten Werner Kracke. Später wurden auch Tanzkapellen aus Bremen oder Hamburg engagiert.
Bei geschlossenen Gesellschaften wirkten Künstler vom Staatstheater oder vom früheren Metropoltheater mit. Bei offenen Tanzveranstaltungen gab es auch Auftritte von Sängern aus dem Publikum. Dierks erinnert sich an den Besatzungssoldaten Donald Edwards, einem Tenor aus London, und die bei einem Sängerwettbewerb umjubelte Siegerin. Dabei handelte es sich um die Raumpflegerin, die sich um die Damentoilette kümmerte und mit dem Hamburger Lied „An de Eck von de Steenstrot“ Erfolg hatte.
„Jade Combo“ Magnet
Große Zugkraft übte Ende der 1950er Jahre und Anfang der 1960er Jahre die Original „Jade Combo“ aus Wilhelmshaven mit Heiner Peters an der Hammondorgel und in der weiteren Instrumentenbesetzung mit Saxofonen, Klarinette, Trompete, Geige, Bass, Schlagzeug, Vibrafon, Gitarre und Gesang aus. Zu Tanzabenden mit dieser Kultband strömten die Besucher schon weit vor Beginn der Veranstaltung von der Bushaltestelle Friedhof Eversten zum „Grünen Jäger“, um noch einen Sitzplatz zu ergattern. So wurden am Sonnabend und Sonntag insgesamt manchmal über 1000 Eintrittskarten (Tanzbänder) verkauft.
Nach dem Tod des bei den Gästen sehr beliebten Gastwirts Willy Dierks im Jahr 1964 konnte der Betrieb nicht aufrechterhalten werden. Es begann die Zeit der Popmusik, traditionelle Tanzveranstaltungen waren immer weniger gefragt. Vom Eigentümer wurde das Haus zunächst an einen Supermarkt (Efa) und später an ein Fachgeschäft für Tapeten, Farben und Bodenbeläge sowie einen Barbetrieb verpachtet, die das Gebäude mittlerweile verlassen haben. Der Abriss des Gebäudes steht nun unmittelbar bevor. Norbert Pollack und Gerold Kehmeier produzieren zurzeit einen Film über die Tanzlokale in den 60er- und 70er-Jahren. Kontakt: Tel. 42392, info@oldenburg-film.net oder